Streit in der Frankfurter Rundschau.

Nazi-Kundgebungen verbieten?

Offensichtlich sah Hoffmann-Riem die Notwendigkeit, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu verteidigen. Dazu reichte ihm die Veröffentlichung der Begründung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Er veröffentlichte am 11. Juli 2002 in der Frankfurter Rundschau über eine ganze Seite einen Artikel  mit der Überschrift „Die Luftröhre der Demokratie“. „Luftröhre der Demokratie“ – das war eine Formulierung, mit der der Politologe Bedeutung und Funktion der Demonstrationsfreiheit beschrieben hatte. Die Unterüberschrift des Artikels von Hoffmann-Riem lautete „Der Rechtsstaat ist stark genug, um auch die Demonstrationsfreiheit für Neonazis auszuhalten“. Das war die klare Ansage: Für die Demonstrationsfreiheit von Rechtsextremisten soll nicht gelten: „Wehret den Anfängen!“

Hoffmann-Riem stellt zunächst fest: „Auch fünfzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkieges und der Nazidiktatur lässt uns der Rechtsextremismus nicht los – nicht in der Erinnerung an die Vergangenheit und nicht als Erfahrung in der Gegenwart. Besonders sichtbar tragen Rechtsextremisten ihre Anschauungen in die Öffentlichkeit in Form von Versammlungen. Viele Bürger verstehen nicht, dass sie auch den Schutz durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit genießen“. 

Hoffmann-Riem doziert: „Die Versammlungsfreiheit ist … auch ein Schutzauftrag an den Staat, konkret an Polizei und Gerichte … Verbietet die Versammlungsbehörde eine Versammlung oder verhängt sie belastende Auflagen für deren Durchführung, können die Initiatoren Rechtsschutz beantragen …“.  

Dann macht Hoffmann-Riem deutlich, in welchem Ausmaß  Rechtsextremisten Rechtsschutz beantragen und Rechtsschutz bekommen: „Anträge auf Eilrechtsschutz für Demonstrationen  haben in jüngster Zeit in großer Zahl Rechtsextremisten gestellt. …  Jedes zweite oder dritte Wochenende ist vom Bundesverfassungsgericht über einen Eilantrag von Rechtsextremisten gegen ein behördliches Versammlungsverbot zu entscheiden …  Etwa 30 Prozent solcher Anträge in Versammlungssachen hatten in jüngster Zeit Erfolg. Demgegenüber ist die Erfolgsquote in anderen Verfahren viel geringer, sie beträgt bei Verfassungsbeschwerden zwischen 2 und 3 Prozent“.

Hoffmann-Riem macht sich Gedanken darüber, warum das Bundesverfassungsgericht so häufig mit solchen Anträgen auf Eilrechtsschutz von Rechtsextremisten zu tun hat: „Die Rechtsanwender in Behörden und Gerichten sind vermutlich fest davon überzeugt, sich für eine gute Sache einzusetzen und möglicherweise handeln viele von ihnen unter dem Eindruck des Satzes: „Hätten doch auch die Juristen in der Nazizeit dem Rechtsextremismus widerstanden“. Vermutlich schütteln viele von ihnen den Kopf über das Bundesverfassungsgericht oder halten es zumindest für politisch naiv, wenn es Neonazis Eilrechtsschutz gewährt“.                 

Darauf antwortet Hoffmann-Riem mit der Autorität des Bundesverfassungsrichters apodiktisch und gibt dabei die Auslegung des Grundgesetzes wieder, wie sie vom Bundesverfassungsgericht vertreten wird: „Auf die Frage, ob wir den Schutz des Rechts mit dem Ziel verweigern dürfen, Rechtsextremisten die Äußerungen ihrer Auffassungen unmöglich zu machen, antwortet das Grundgesetz: „Nein“. … Die Garantien des Rechtsstaats dürfen zu keiner Zeit einem  politischen Trend oder einem politisch wünschenswerten Anliegen geopfert werden“.  Die Rechtsanwender in Behörden und Gerichten, die Demonstrationen von Rechtsextremisten verbieten, folgen also nur einem „politischen Trend“ oder einem „wünschenswerten Anliegen“, denen die Garantien des Rechtsstaats zu keiner Zeit „geopfert“ werden dürfen. 

Damit verabschiedet sich das Bundesverfassungsgericht aus der Bekämpfung rechtsextremistische Äußerungen. Die politische Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten ist dann nur noch Aufgabe der Zivilgesellschaft: „Deshalb ist es wichtig, dass die Gesellschaft und ihre Mitglieder aktiv werden, für die Werte der rechtsstaatlichen Demokratie werben und sich kritisch mit denen auseinander setzen, die ein Zurück in den Unrechtsstaat propagieren.“

Hoffmann-Riem feiert als einen Erfolg, dass es Schutzauftrag der  Polizei ist, genehmigte Demonstration der Rechtsextremisten zu verteidigen und damit zwangsläufig in Konflikt mit Antifaschisten getrieben zu werden: „Eine aus rechtsstaatlicher Sicht erfreuliche Folge der verfassungsgerichtlichen Interventionen war, dass die Behörden und Gerichte ihre Praxis umgestellt haben und sich offenbar an den vom Bundesverfassungsgericht konkretisierten Grundsätzen orientieren. Hier wird deutlich, dass der Rechtsstaat der Bundesrepublik funktioniert.  Zu den Errungenschaften des Rechtsstaats gehört, dass er inhaltlich neutral ist … Im Umfeld der Studentenbewegung hatten insbesondere politische „Linke“ um den Schutz der Freiheit zu kämpfen – teilweise müssen sie es immer noch. In der jüngsten Zeit ist aber vorrangig die Versammlungsfreiheit politisch „Rechter“ gefährdet. Ein Grundrecht darf seine Fahne nicht nach dem politischen Wind richten. Dies gilt erst recht für ein Grundrecht, das besonders für Minderheitenwichtig ist, also für diejenigen, die nicht dem Mainstream folgen“.     

Statt „Polizisten – schützen Faschisten“ sollte es genauer heißen: „Das Bundesverfassungsgericht schützt Faschisten“. Das reimt sich zwar nicht so gut, benennt aber präziser die Verantwortlichen. 

Die Stellungnahme von Dr. Michael Bertrams dazu soll hier ebenfalls ausführlich zitiert werden. Bertrams bezieht sich zunächst auf die bemerkenswerte Aussage des Bundesverfassungsrichters Hoffmann-Riem, infolge einer “Intervention” des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hätten die Behörden und Gerichte ihre Praxis, Neonazi – Demonstrationen zu verbieten, umgestellt; sie orientierten sich nunmehr an den vom BVerfG konkretisierten Grundsätzen, denen zufolge auch Neonazis grundsätzlich das Recht zustehe, öffentlich zu demonstrieren.

Dr. Michael Bertrams erklärt, dass das größte bundesrepublikanische Oberverwaltungsgericht, das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht unter seinem Vorsitz dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht folgen wolle. Die Begründung Dr. Bertrams:

„Mit Blick auf das öffentliche Auftreten von Neonazis ist bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Normen des Grundgesetzes zu berücksichtigen, dass das Grundgesetz in weiten Teilen  … als eine Antwort auf die Beseitigung der Weimarer Demokratie durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu verstehen ist. Das Grundgesetz ist mit anderen Worten der Gegenentwurf zur Barbarei der Nazis. Von zentraler Bedeutung ist dabei neben der grundgesetzlich konstituierten Friedenspflicht  … der die gesamte Rechtsordnung prägende Aspekt der Menschenwürde …. Angesichts dieser Verfassungswerte gewinnt die Tatsache, dass vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte durch das öffentliche Auftreten von Neonazis und das Verbreiten entsprechenden Gedankenguts grundlegende soziale und ethische Anschauungen einer Vielzahl von Menschen – zumal der in Deutschland lebenden ausländischen und jüdischen Mitbürger – in erheblicher Weise verletzt werden, besonderes Gewicht.

Soweit es beim Problem der Demonstrationsfreiheit für Neonazis um das Grundrecht der Meinungsfreiheit …  geht, schützt dieses zwar auch und gerade die “politisch missliebige Meinung”. Bei dem Gedankengut von Neonazis geht es aber nicht um irgendeine “politisch missliebige Meinung”, sondern um Anschauungen, denen das Grundgesetz mit seinem historischen Gedächtnis eine klare Absage erteilt hat. Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit als Kernpunkte neonazistischer Ideologie sind nicht irgendwelche unliebsamen, politisch unerwünschten Anschauungen, sondern solche, die mit grundgesetzlichen Wertvorstellungen schlechterdings unvereinbar sind. Der Ausschluss gerade dieses Gedankenguts aus dem demokratischen Willensbildungsprozess ist ein aus der historisch bedingten Werteordnung des Grundgesetzes ableitbarer Verfassungsbelang, der es rechtfertigt, die Freiheit der Meinungsäußerung, bezogen und beschränkt auf dieses Gedankengut, inhaltlich zu begrenzen. Das historische Gedächtnis der Verfassung wird m.a.W. übergangen, wenn man das öffentliche Eintreten für nationalsozialistisches Gedankengut als politisch unerwünscht und missliebig bagatellisiert und wie jede andere Meinungsäußerung als Ausübung eines für die Demokratie konstituierenden Freiheitsrechts einstuft.

Vor diesem Hintergrund lässt sich nach der Rechtsprechung des OVG NRW eine rechtsextremistische Ideologie wie der Nationalsozialismus nicht – auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts – legitimieren; bei der Auslegung des Grundrechts der Demonstrationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1 GG) ist deshalb dieser verfassungsimmanenten Beschränkung auch unterhalb der Schwelle strafrechtlicher und verfassungsgerichtlicher Verbots- und Verwirkungsentscheidungen Rechnung zu tragen, so dass Versammlungen, die durch ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt sind, … verboten werden können. …

Als dem maßgeblichen Hüter der Verfassung obliegt dem BVerfG insoweit eine besondere Verantwortung.

Hoffmann-Riem ignoriert letztlich die Renaissance des Rechtsextremismus im wiedervereinten Deutschland. Dieses Phänomen wird jedenfalls verharmlost und bagatellisiert, wenn er Neonazis unkommentiert dem Kreis beliebiger “Minderheiten” zuordnet und deren Programmatik undifferenziert in eine Reihe stellt mit anderen am Prozess der demokratischen Willensbildung teilnehmenden politisch unerwünschten, missliebigen Meinungen.

….. Für den demokratischen Willensbildungsprozess sind die vom Grundgesetz geächteten Anschauungen von Neonazis ohne Bedeutung. Speziell diesen Anschauungen hat das Grundgesetz mit seinem historischen Gedächtnis eine klare Absage erteilt. Mit anderen Worten: Die Freiheit des Andersdenkenden ist ein hohes Gut. Diese Freiheit muss in der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes aber dort ihre Grenze finden, wo der Versuch unternommen wird, das menschenverachtende Gedankengut des Dritten Reiches wiederzubeleben. Handelt es sich bei der Demonstrationsfreiheit um die “Luftröhre der Demokratie”, dann gehen – um im Bild zu bleiben – Neonazis der Demokratie an die Gurgel. Eine wehrhafte Demokratie muss dem entgegentreten und dafür sorgen, dass ihr nicht irgendwann von geschichtsblinden Barbaren die Luft zum Atmen genommen wird“[1].    


1                                                                                                            https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilung/01_archiv/2002/25_020715/index.php; siehe auch https://nrw-archiv.vvn-bda.de/texte/0103_njw.htm     

Das Bundesverfassungsgericht kippte sämtliche Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Münster.

Ein beispielloser Konflikt in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte

  1. Oberverwaltungsgericht NRW  gegen Budesverfassungsgericht

Dieser Konflikt ist nicht nur deswegen „beispiellos“, weil noch nie in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte ein Oberverwaltungsgericht mit einer solchen Vehemenz und so offen gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Stellung bezogen hatte, sondern auch deswegen, weil sich das Oberverwaltungsgericht mit seinen Entscheidungen auf die antifaschistischen Traditionen berief, die auch im Grundgesetz zu finden sind, und weil sich das Oberverwaltungsgericht unter Berufung auf das „historische Gedächtnis der Verfassung“[1] weigerte, weiter ein politisches Weltbild zu pflegen, das nach 1945 mit Beginn der Restauration in der Bundesrepublik alle  antifaschistischen Traditionen bei Seite schob, sich im kalten Krieg als Staatsdoktrin Deutschlands festigte und bis heute die staatlichen Institutionen Deutschlands prägt.

Im Jahr 2001 verbot der Polizeipräsident Aachen eine „Kundgebung mit Aufzug“ mit dem Thema „Gegen die Kriminalisierung nationaler Deutscher und Niederländer – Gemeinsamer Protestmarsch“ im März 2001. Es sollten Landsknechtstrommeln, schwarze Fahnen, Transparente, Tragschilder, bis zu sechs Handlautsprecher und eine Lautsprecherwagen genutzt werden. Derjenige, der das gerichtliche Eilverfahren gegen dieses Verbot einleitete, bestätigte, in der NVU, einer weit rechts stehenden Organisation, Mitglied zu sein, bei der es sich aber nach Angaben dieses Mitglieds keinesfalls um eine neofaschistische oder dem Nationalsozialismus anhängende Organisation handele. Eine Aufhebung dieses Versammlungsverbot lehnte das Verwaltungsgericht ab. Auch das Oberverwaltungsgericht NRW bestätigte das Verbot. Das Gericht leitete u.a. aus dem zentralen Wert der Menschenwürde und dem Friedensstaatsgebot des Grundgesetzes ab, dass eine verfassungsimmanente Schranke für demonstrative Äußerungen neonazistischer Meinungen besteht. „Die … öffentliche Ordnung wird durch Bestrebungen unmittelbar gefährdet, die die nationalsozialistische Diktatur oder ihre führenden Vertreter und Symbolfiguren verherrlichen oder verharmlosen, auch wenn dadurch im Einzelfall die Schwelle der Strafbarkeit noch nicht erreicht sein mag. Die öffentliche Ordnung … ist mithin unmittelbar gefährdet, wenn eine Versammlung erkennbar unter Umständen stattfindet, die ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus beinhalten und damit all jenen grundgesetzlichen Wertvorstellungen zuwider läuft, die Ausdruck einer Abkehr vom Nationalsozialismus sind“[2]

Doch das  Bundesverfassungsgericht kippte das Versammlungsverbot[3] und erlaubte die Demonstration unter der Auflage, keine Trommeln und Fahnen zu benutzen – ausgenommen die Bundesflagge und der Fahnen der Bundesländer – und keine Transparente strafbaren Inhalts und keine Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Uniformen oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck gemeinsamer Gesinnung nicht zu verwenden. Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Entscheidung damit, dass Beschränkungen der Versammlungsfreiheit am Maßstab der Meinungsfreiheit gemessen werden müssten. Die Meinungsfreiheit erlaube aber auch Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, solange sie dadurch nicht Rechtsgüter anderer nicht gefährde. „Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit der Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und sie dadurch abzuwehren“[4]. Eine Grenze der Meinungsäußerung bildeten Strafgesetze, die zu Rechtsgüterschutz ausnahmsweise bestimmte geäußerte Inhalte verbieten, wie Beleidigung, Verleumdung, Volksverhetzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole oder von Verfassungsorganen. Daneben kämen „entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts“ keine zusätzliche „verfassungsimmanente Grenzen“ zum Tragen[5].    

Bevor wir eine weitere Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts NRW vorstellen, die vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde,  zunächst eine  Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die einen Beschluss des hessischen Verwaltungsgerichtshof kassierte:

  • Hessischer Verwaltungsgerichtshof gegen Bundesverfassungsgericht

Eine Frau meldete für den 7. April 2001 eine „Kundgebung mit Aufzug“ in Frankfurt a.M. unter dem Thema an: „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“. Es sollten verwendet werden. Schwarze Fahnen, Transparente, Trage- und Halteschilder, Landsknechtstrommeln und Flugschriften. In dem Einladungsflugblatt wurde die Veranstaltung als „Demonstration gegen Überfremdung“ bezeichnet. Die Teilnahme solle für jeden Deutschen  ein absolutes Muss sein, „der auch in zehn Jahren noch als solcher aufrecht gehen möchte“. Die Demonstration sei unter dem Gesichtspunkt der Zukunftsgestaltung zu betrachten. Die Versammlungsbehörde verbot diese Veranstaltung. Die Thematik der Demonstration und die Kenntnis der Verläufe von früheren  Veranstaltungen der Anmelderin ließen eine Störung der öffentlichen Ordnung durch aggressive Ausländerfeindlichkeit befürchten; das würde Teile der ansässigen Bevölkerung einschüchtern und beängstigen. Aus dem zu erwartenden Teilnehmerkreis aus rechtsextremistischen Organisationen (unter anderem „Skinheads“) folge, dass Verstöße gegen einschlägige Strafbestimmungen zu erwarten seien[6].

Das Verwaltungsgericht erlaubte[7] die Veranstaltung unter folgenden Auflagen: Die Demonstrationsroute hat folgenden Verlauf … und den Teilnehmern wird untersagt, Trommeln und Fahnen zu benutzen – ausgenommen die Bundesflagge und der Fahnen der Bundesländer –, Transparente strafbaren Inhalts zu verwenden und entsprechende Parolen zu skandieren oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Uniformen oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck gemeinsamer Gesinnung nicht zu tragen. Die bei den Kundgebungen auftretenden Redner dürfen keine aggressiven Ausländerfeindlichkeiten, die die ansässige Bevölkerung einschüchtern und beängstigen könnten,  oder Verstöße gegen einschlägige Strafbestimmungen äußern. Der hessische Verwaltungsgerichtshof hob die vorinstanzliche Entscheidung auf und verbot die Veranstaltung. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werde die öffentliche Ordnung gestört. Das Motto der Veranstaltung „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“ verstoße gegen § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Danach macht sich strafbar, wer in einer Weise, die den öffentlichen Frieden stört, …  zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert. Es werde zum Hass gegen einen Teil der Bevölkerung in einer Weise aufgestachelt, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Das für die Versammlung gewählte Motto „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“ drücke eine aggressive Ausländerfeindlichkeit aus, die geeignet sei Teile der ansässigen Bevölkerung einzuschüchtern und zu beängstigen.

Das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidung des hessischen Verwaltungsgerichtshofs wieder auf[8] und erlaubt die Veranstaltung unter den Auflagen, unter denen schon die 1. Instanz die Veranstaltung erlaubt hatte. Das Bundesverfassungsgericht begründete seine Entscheidung damit, aus dem Motto der Veranstaltung „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“ lasse sich ein Verstoß gegen Strafbestimmungen nicht begründen. Das Motto habe zwar eine ausländerfeindliche Grundrichtung, aber im Strafgesetzbuch seien ausländerfeindliche Äußerungen nicht schon als solche unter Strafe gestellt. Nach Ansicht des hessischen Verwaltungsgerichthofes werde mit dem Motto in Anknüpfung an die Herrenrassen-Ideologie des nationalsozialistischen Gedankenguts gesagt, dass „die deutsche Bevölkerung in der Knechtschaft  der im Bundesgebiet ansässigen Ausländer“ leben müsse. Angesichts der Mehrdeutigkeit des Mottos hätte sich der Verwaltungsgerichtshof nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls mit der von den Veranstaltern geltend gemachten Deutungsalternative auseinandersetzen müssen. Danach soll mindestens der zweite Teil des Mottos, dass man nicht Knecht der Fremden sein möchte, auf eine in der Zukunft mögliche, von ihnen abgelehnte Entwicklung beziehen. Das Bundesverfassungsgericht erklärt nicht, warum diese auf die Zukunft gerichtete Deutung des Mottos „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“ nicht ebenfalls zum Hass gegen einen Teil der Bevölkerung aufgestachelt und  nicht ebenfalls eine aggressive Ausländerfeindlichkeit ausdrückt, die geeignet ist Teile der ansässigen Bevölkerung einzuschüchtern. Das Bundesverfassungsgericht lässt sich auch nicht davon beirren, dass der hessische Verwaltungsgerichtshof die Stellungnahme des Veranstalters und dessen Beharren auf dem Motto ausdrücklich als eine Bestätigung seiner Deutung des Mottos betrachtet hatte.


1                                                                                 OVG Münster v. 30.4.2001 – S B 585/01 NJW 2001, 2114 

2                                                                                 OVG Münster v. 23.3.2001 – S B 395/01 NJW 2001, 2111  

3                                                                                 BVerG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html  

4                                                                                 BVerfG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html  

5                                                                                 BVerfG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html  

6                                                                                 BVerfG v. 07. April 2001 1 BvQ 17/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/04/qk20010407_1bvq001701.html  

7                                                                                   Genauer: Es stellt die aufschiebende Wirkung des zuvor eingelegten Widerspruchs gegen das Verbot wieder her 

8                                                                                 BVerfG v. 07. April 2001 1 BvQ 17/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/04/qk20010407_1bvq001701.html  

Bleibt nichts, was VVN-BdA vorzuwerfen wäre.

„Schulterschluss mit gewaltorientierten Gruppen“ und Blockade: Es bleibt nichts, das der VVN-BdA vorzuwerfen wäre

Das Verwaltungsgericht München zum Verfassungsschutzbericht über den Aufruf der VVN-BdA zum  geplanten Aufmarsch von mehreren tausend Nazis am 13. Februar 2010 in Dresden: „Korrekt ist die Aussage im Bericht, die VVN-BdA  dokumentiere beispielsweise in ihrer Verbandszeitschrift  „antifa“ den „Schulterschluss mit gewaltorientierten autonomen Gruppen anlässlich gemeinsamer Protestaktionen gegen Rechtsextremisten im Februar 2010 in Dresden“. Bekanntlich kam es am 13.2.2010 in Dresden aus Anlass des 65. Jahrestages der alliierten Bombardierung zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern einer genehmigten Demonstration und gewaltbereiten Linksautonomen, die durch Blockadeaktionen die Versammlung stören und verhindern wollten. … Der Bundesausschuss der VVN-BdA vom 15.11.2009 rief im Vereinsorgan „antifa“ 1-2/2010, Seite 16, alle Bürgerinnen und Bürger zu einer „gemeinsamen Aktion zivilen Ungehorsams“ auf …; der Aufruf endet mit folgender Erklärung: „Wenn Nazis marschieren, werden wir dagegen protestieren! Wenn es notwendig wird, auch mit einer Blockade!“ (…). Vor dem Hintergrund dieser Fakten relativiert sich die Einordnung in der Klagebegründung, es habe sich dabei „ganz banal um einen gemeinsamen Aufruf eines breiten Bündnisses“ gehandelt, zugunsten der Charakterisierung dieses Verhaltens im Bericht als Schulterschluss mit gewaltorientierten Gruppen“.

Dazu der Verwaltungsgerichthof, bei dem die VVN-BdA die die Zulassung der Berufung gegen das Urteil der 1. Instanz beantragte:  „Der Begriff „Schulterschluss“, der im Sinne eines Bündnispartnerschaft zu interpretieren ist, besagt nicht mehr, als dass die Bundes- und Landesvereinigung mit den genannten Gruppierungen – ohne dass damit andere Partner ausgeschlossen wären – gemeinsame politische Aktionen (hier 2009/2010 in Dresden) durchgeführt haben. Nicht verbunden ist mit der Feststellung, dass VVN-Mitglieder selbst Gewalt ausgeübt hätten. Auch auf die umstrittene Qualität von (Sitz-) Blockaden mit dem Ziel, andere Demonstrationen zu ver- oder zumindest zu behindern, kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend an“. 

Was diejenigen, die gegen die Nazis demonstrierten, Nazi-Aufmarsch nannten, bezeichnet das Verwaltungsgericht als Teilnahme an einer genehmigten Demonstration, aber die Gegendemonstration als „Schulterschluss mit gewaltorientierten Gruppen“. Doch der Bayrische Verwaltungsgerichtshof erklärte ausdrücklich, dass er die Feststellungen der 1. Instanz so verstehe, dass sie nicht mit der Feststellung verbunden seien, „dass VVN-Mitglieder selbst Gewalt ausgeübt hätten“.  

Aber was bleibt dann noch, was gegen die Anerkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA ins Feld geführt werden könnte?  Nur die Feststellung, „dass die Bundes- und Landesvereinigung mit den genannten Gruppierungen – ohne dass damit andere Partner ausgeschlossen wären – gemeinsame politische Aktionen durchgeführt haben“. 

Die „genannten Gruppen“ – das sind die „gewaltorientierten Gruppen“. Aber was heißt im Zusammenhang mit der Blockade in Dresden „gewaltorientierte Gruppen“? Nach Meinung des Verwaltungsgerichtes soll deren Gewaltbereitschaft darin bestanden haben, „durch Blockadeaktionen die Versammlung stören und verhindern“ zu wollen. Für das Verwaltungsgericht ist das rechtswidrig. Der Bayrische Verwaltungsgerichtshof spricht dagegen von „der umstrittenen Qualität von (Sitz-) Blockaden mit dem Ziel, andere Demonstrationen zu ver- oder zumindest zu behindern“ und ist damit in seiner rechtlichen Bewertung aus gutem Grund sehr viel vorsichtiger. Denn zunächst einmal ist ganz allgemein zwischen der demonstrativen Blockade und der Verhinderungsblockade zu unterscheiden. Die demonstrative Blockade ist erlaubt[1]. Zudem berichten die Dresdener Neueste Nachrichten von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Polizei habe es 2010 versäumt, „ihr Trennungskonzept durchzusetzen. Es seien keine Gegenmaßnahmen ergriffen worden, beide Gruppierungen räumlich zu trennen“[2]. Das spricht dafür, dass die Polizei es versäumt hat die Auflösung der Sitzblockaden zu verfügen. Ohne vollziehbare Auflösungsverfügung besteht mit Sicherheit keine Verpflichtung, eine Sitzblockade zu beenden3. Wo war also die Gewalt derjenigen, die an den Sitzblockaden teilnahmen?

Es bleibt nichts, was der VVN-BdA vorzuwerfen wäre.

Geändert werden.

Was muss in der Abgabenordnung geändert werden?

Es ist nicht hinnehmbar, dass für eine Einstufung als „linksextremistisch“ eine Vermutung des Verfassungsschutzes ausreichen soll.  Man könnte fordern, dass der Verfassungsschutz den vollen Beweis antreten muss, dass ein Verein „verfassungswidrige Bestrebungen fördert“[1], wobei sich der  Verfassungsschutz dieser Beweispflicht auch nicht mit dem Hinweis auf den Schutz seiner V-Leute entziehen dürfte. Aber mit dieser Forderung nach der vollen Beweispflicht durch den Verfassungsschutz  scheint doch eher der Bock zum Gärtner gemacht zu werden. Wichtiger ist eine ganz andere Forderung: Es darf kein Automatismus herrschen, wie er jetzt im Gesetz vorgeschrieben ist. Der Verfassungsschutz kann zwar tatsächlich Anhaltpunkt liefern. Mehr aber nicht. Auf keinen Fall darf  im Gesetz festgeschrieben werden, dass aus einer Einstufung des Verfassungsschutzes als linksextremistisch automatisch eine Verpflichtung der Finanzämter folgt, dieser Einstufung eines Verfassungsschutzes zu folgen und die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, wenn der Verein die Vermutung des  Verfassungsschutzes nicht widerlegen kann. Und es gilt auch: Der Verein, dem  vorgeworfen wird, er sei linksextremistisch, hat nicht zu beweisen, dass er nicht den Gegenbeweis anzutreten, sondern die Finanzbehörde trägt volle Beweispflicht, wenn sie einem Verein die Gemeinnützigkeit aberkennen will, weil er die Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit nicht erfüllt. 


1                                                                                                                                            Der Verfassungsschutz hätte also den vollen Beweis dafür anzutreten, dass „die Körperschaften nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen im Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt“ – so die Formulierung in § 51 Abs. 3 Satz 1 AO.    

Unvereinbar mit dem Grundgesetz

Der Bayrische Verfassungsschutz kann nicht über die Abgabenordnung der Berliner Finanzbehörde Vorgaben machen, über die Aberkennung einer der Gemeinnützigkeit einer Bundesorganisation

Ist die Regelung in der Abgabenordnung rechtmäßig, die die Berliner Finanzbehörde zwingt, davon auszugehen, dass ein Verein „extremistisch“ ist, wenn  der Verfassungsschutz auch nur eines Bundeslandes diesen Verein so einstuft, aber der Verfassungsschutz aller anderen Bundesländern und des Bundes genau das nicht tun?

Die Antwort: Diese Regelung ist verfassungswidrig. Dies ist so, weil die Bundesrepublik Deutschland ein „Bundesstaat“ ist: “Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt“ (Art. 30 GG). Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes ist ohne Zweifel eine Ausübung staatlicher Befugnisse. Sie ist also „Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt“. Allerdings reichen diese  Befugnisse eines Landes nicht über seine Grenzen hinaus. Aber genau darum geht es im vorliegenden Fall. Dieses Grundgesetz lässt keine Regelung zu, die die Einstufung einer bundesweiten Organisation als extremistisch durch den Verfassungsschutz nur eines Landes (vorliegend Bayern) mit Wirkung über die Grenzen dieses Landes hinaus erlaubt. Das Grundgesetz erlaubt nur die Einrichtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz[1], nicht aber eine Landesbehörde für Verfassungsschutz, an deren (widerlegbaren) Einstufung einer Organisation  als  „extremistisch“ alle Landesfinanzbehörden gebunden sein sollen. Es wäre geradezu absurd, wenn die Berliner Finanzbehörde in Berlin, wo die Bundesvereinigung ihren Sitz hat,  auf diesem Wege dazu verpflichtet werden könnte, davon auszugehen, dass die VVN-BdA „verfassungswidrige Bestrebungen fördert“ und ihr die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Aus dieser Absurdität entkommt die Abgabenordnung auch nicht dadurch, dass sie der VVN-BdA die Widerlegung dieser Einstufung erlaubt. Auch an die widerlegbare Einstufung als „linksextremistisch“ kann die Berliner Finanzbehörde nicht durch eine bayrische Verfassungsschutzbehörde gebunden werden. Die Bundesvereinigung VVN-BdA kann nicht durch den bayrischen Verfassungsschutz gezwungen werden, zu widerlegen, was weder der Bund noch der übrigen Länder  in ihren Verfassungsschutzberichten erwähnen. Die Abgabenordnung kann sich als einfaches Bundesgesetz nicht über das Grundgesetz hinwegsetzen. Die bayrische Verfassungsschutzbehörde kann über die Abgabenordnung nicht das Berliner Finanzamt dazu zwingen, der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit abzuerkennen.   

Zunächst glaubten die Finanzbehörde in NRW sogar auch der VVN-BdA NRW die Gemeinnützigkeit aberkennen zu müssen, obwohl der Name schon zu erkennen gibt, dass die VVN-BdA Landesvereinigung NRW e.V.  als  eigenständiger Verein im Vereinsregister eingetragen ist und damit dessen Einstufung als Landesvereinigung NRW ganz offensichtlich nicht in die Zuständigkeit des bayrischen Verfassungsschutzes fällt. Nach einigen Protesten[2] scheint jedoch die Landesfinanzbehörde in NRW davon Abstand genommen zu haben, alles noch weiter in die Absurdität zu treiben. Die VVN-BdA NRW behält die Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Die Finanzbehörden scheinen auch den Versuch aufgegeben zu haben, vier rechtlich selbstständigen Kreisvereinigungen in NRW die Gemeinnützigkeit abzuerkennen[3]. Der Thüringer VVN-BdA e.V. wurde die Gemeinnützigkeit rückwirkend wieder zuerkannt, allerdings mit der Auflage, fortan keine Mitgliedsbeiträge an den Bundesverband  überweisen zu dürfen. Sogar eine entsprechende Satzungsänderung wurde bei nächster Gelegenheit verlangt[4].

Wenn ein Verfassungsschutz einen Verein bzw. eine Körperschaft als extremistisch einstuft, darf es keinen Automatismus in der Abgabenordnung geben, über den die Gemeinnützigkeit entzogen wird, wenn der Verein bzw. die Körperschaft diese Einstufung nicht widerlegen kann. Vielleicht sollte § 51 Absatz 3 Satz 2 der Abgabenordnung („Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisationen aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satz 1 nicht erfüllt sind“) in folgender Weise geändert werden: „Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisationen aufgeführt sind, kann die Steuervergünstigung verweigert werden.“  Das würde auch den politischen Spielraum erweitern und eine politische Diskussion erleichtern.


1                                                                                                                                                                                          „Durch Bundesgesetz können … Zentralstellen … zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes … eingerichtet werden“                      (Art. 87 Abs.1 Satz 2 GG)                       

2                                                                                                                                            https://nrw.vvn-bda.de/2019/03/31/nrw-finanzaemter-drohen-der-vvn-bda-mit-entzug-der-gemeinnuetzigkeit-weitere-reaktionen/

3                                                                                                                                            Willms, Thomas (2020): Helden ja – Verbände nein. Der Kampf gegen die VVN-BdA,  vorgänge.Zeitschrift für Bürgerrechteund gesllschaftspolitik Nr. 229 /59(1)), S. 125-132, 127 f.   

4                                                                                                                                            Willms, Thomas (2020): Helden ja – Verbände nein. Der Kampf gegen die VVN-BdA,  vorgänge.Zeitschrift für Bürgerrechteund gesllschaftspolitik Nr. 229 /59(1)), S. 125-132, 128   KategorienAllgemeinBeitrags-NavigationVoll verantwortlichGeändert werden.

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Voll verantwortlich

Der Berliner Senat ist für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA voll verantwortlich

Die Finanzämter sind Landesbehörden, die der Dienst- und Fachaufsicht der obersten Landesfinanzbehörden unterliegen1 . Die Entscheidung über die Aberkennung der Gemeinnützigkeit unterliegt also dem Finanzsenator Matthias Kollatz.

Richtig ist allerdings, dass die Landesfinanzbehörden der Aufsicht des Bundesfinanzministeriums unterstehen, wenn es um die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Ausführung von Bundesgesetzen geht, also auch um die Ausführung der Abgabenordnung2 . Aber im Anwendungserlass zur Abgabenordnung wird  unmissverständlich darauf hingewiesen, dass Organisationen nur dann die Gemeinnützigkeit aberkannt werden darf, wenn sie „ausdrücklich als extremistisch eingestuft werden“ und dann wird auf die entsprechende Entscheidung des Bundesfinanzhofes verwiesen3 . Insoweit verweist also der Finanzminister Olaf Scholz zu Recht auf die Verantwortung der Länderfinanzbehörden4, im vorliegenden Fall also auf die Verantwortung der Berliner Finanzbehörde und des Berliner Senats.


  1. Art. 108 GG,; siehe auch Antwort der Bundesregierung v. 11.05.2020.auf die kleine Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/19063; dort Seite 6, Antwort auf die 2. Frage  []
  2. 108 Abs. 2,  3 i.V.m. Art 85 Abs. 3, 4 GG; siehe auch Antwort der Bundesregierung v. 11.05.2020.auf die kleine Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/19063; dort Seite 6, Antwort auf die 2. Frage, wo allerdings nicht auf das Weisungsrecht des Ministeriums für Finanzen nach Art. 108 Abs. 3 i.V.m. Art. 85  Abs. 3, 4 GG eingegangen wird. Die Finanzbehörde hat sich also auch nach dem Anwendungserlass der Abgabenordnung zu richten (als pdf. Datei unter www.bundesfinanzministerium.de, zusammen mit einem Begleitschreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 31. Januar 2014 []
  3. Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung vom 31. Januar 2014 unter www.bundesfinanzministerium.de S. 3 []
  4. ließ mir mitteilen, dass er über die Entscheidung der Berliner Steuerverwaltung genau so überrascht gewesen sei wie ich und dass er sich die Anzweiflung der Verfassungstreue der VVN-BdA nicht hätte vorstellen können. Zugleich ließ er darauf verweisen, dass Steuerverwaltung Angelegenheit der Länder und alles rechtmäßig vollzogen worden sei. Der Minister, hieß es, hätte um eine Darstellung aus Berlin gebeten. So geschehen im November 2019. Bis heute sind zwar die finanziellen Forderungen an die VVN-BdA ausgesetzt, der Entzug der Gemeinnützigkeit bleibt jedoch aufrechterhalten, wodurch diese antifaschistische Organisation erwürgt und handlungsunfähig gemacht werden soll“ (Rede von Günther Pappenheim, Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora zum 75. Jahrestag der Befreiung und Selbstbefreiung der Häftlinge des Komzentrationslöagers Buchenwald am 11. April 2020: https://thueringen.vvn-bda.de/2020/04/14/reden-zum-75-jahrestag-der-befreiung-und-selbstbefreiung-der-haeftlinge-des-konzentrationslagers-buchenwald-am-11-april-2020/ []

Nicht aber als „linksextremistisch“ eingestuft!

Linksextremistisch oder linksextremistisch beeinflusst?

Im Anhang  wird die VVN-BdA allerdings in einer Übersicht mit dem Titel „Linksextremismus“ aufgeführt1. Doch dieser Sprung von „linksextremistisch beeinflusst“ zu „linksextremistisch“ geschieht ohne irgendwelche   konkreten tatsächlichen Anknüpfungspunkte. Der Verfassungsschutz spricht zwar mit Blick auf alle Organisationen in dieser Übersicht pauschal von „vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkten“, die „in der  Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolge, es sich mithin um verfassungsfeindliche Organisation/Gruppierung handele“2 . Aber – abgesehen von der widersprüchlichen Wertung einmal „linksextremistisch“ und dann wieder „linksextremistisch beeinflusst“ – beklagt Rechtsanwalt Reinecke zu Recht, dass der Verfassungsschutz zur Einstufung als „linksextremistisch“ im Anhang in der Übersicht nichts Konkretes vorträgt.

Wenn das Berliner Finanzamt den bayrischen Verfassungsschutz so versteht, dass der bayrische Verfassungsschutz die VVN-BdA als „linksextremistisch“ eingestuft hat und deswegen jetzt die VVN-BdA verpflichtet sei, den Gegenbeweis anzutreten, setzt sich das Berliner Finanzamt zu Lasten der VVN-BdA über die Bayrische Verwaltungsgerichtsbarkeit hinweg. Denn das Verwaltungsgericht München hatte zwar die Klage zurückgewiesen, mit der die VVN-BdA ihre Erwähnung aus den bayrischen Verfassungsschutzberichten 2010, 2011, 2012 und 2013 löschen wollte. Das Verwaltungsgericht hatte aber eindeutig festgestellt, dass der bayrische Verfassungsschutz die VVN-BdA nur als „linksextremistisch beeinflusst“, nicht aber als  „linksextremistisch“ einstufte.


  1. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, unter diesem Stichwort  in der Suchmaschine abrufbar; dort auf den Seiten 326, 331, 332  []
  2. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, unter diesem Stichwort  in der Suchmaschine abrufbar; dort auf Seite 326 – 332 []