Zur Erklärung der Landesvorstandes der Berliner VVN-BdA vom 20. Februar 2023
Zur Erklärung der Landesvorstandes der Berliner VVN-BdA vom 20. Februar 2023
(die Erklärung selbst ist unten in vollem Wortlaut abgedruckt; siehe auch: https://berlin.vvn-bda.de/2023/02/fuer-eine-welt-des-friedens-und-der-freiheit/)
Unseres Wissens ist das nach einem Jahr Krieg in der Ukraine die erste Stellungnahme des Berliner Landesvorstandes zu diesem Krieg.
1. Was ist kontrovers, was ist spaltend?
Der Landesvorstand fordert eine Diskussion über die Frage, wie ein antimilitaristisches und friedenspolitisches Engagement auszusehen habe. Die Notwendigkeit dieser Diskussion begründet er damit, dass “die Bewertungen des russischen Angriffskrieges kontrovers” seien.
Die Bewertungen dieses Krieges sind aber nicht kontrovers. Alle Welt spricht von einem völkerrechtswidrigen Krieg, auch in der VVN-BdA wird diese Auffassung ganz überwiegend geteilt. Kontrovers ist vielmehr die Bewertung der Politik, die die USA, die NATO und die Bundesrepulik in diesem Krieg verfolgen. Von der Bewertung dieser Politik hängt es ab, ob “angesichts der zunehmend bellizistischen Stimmung in Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit” eine Chance entsteht, um die vorherrschende Haltung, nur Waffenlieferungen könnten den brutalen Krieg gegen die Ukraine stoppen, zu hinterfragen”.
2. Es geht um darum, den Krieg zu beenden
Der Landesvorstand erklärt: “Wenn Deutschland und die NATO hochmoderne Waffen liefern, führt das zu einem Abnutzungskrieg, an dessen Ende Hunderttausende, im Falle einer nuklearen Auseinandersetzung Milliarden Menschen tot sind.”
Doch dann stellt der Landesvorstand nur fest, “wir können den Krieg nicht mehr verhindern, denn Millionen erleiden diesen Krieg bereits”, und zieht daraus die folgende Konsequenz: “Unsere Aufgabe besteht darin, sich zu vergegenwärtigen, wem unsere Empathie gelten muss – nämlich nicht den Nationalstaaten, sondern denjenigen, die unter dem russischen Überfall leiden: der Bevölkerung in zerschossenen ukrainischen Ortschaften, den geflohenen Kindern, den zwangsrekrutierten Soldat*innen auf beiden Seiten der Front.”
Was ändert Empathie an der Fortführung des Krieges? Nichts. Der Krieg muss beendet werden. Darauf kommt es an. Um das durchzusetzen, müssen wir dorthin gehen, wo es den Herrschenden in unserem Land weh tut. Wir kommen keinen Schritt weiter, wenn wir gegen Putin vor der russischen Botschaft demonstrieren. Nur wenn wir unsere Forderungen an die Adresse der Bundesregierung richten und nur wenn wir das massenhaft tun, haben wir einen wirksamen Hebel für eine Beendigung des Krieges in der Hand.
Wenn der Landesvorstand seine eigenen Worte ernst nimmt, dass am Ende dieses Krieges “Hunderttausende, im Falle einer nuklearen Auseinandersetzung Milliarden Menschen tot sind”, dann geht es nicht nur um Empathie für das Schicksal anderer. Dann geht es auch um unser eigenes Schicksal. Dann geht es um das Schicksal von allen.
3. Keine Berücksichtigung von legitimen Sicherheitsinteressen?
Der Landesvorstand meint: „Nicht irgendwelche „legitimen Sicherheitsbedürfnisse“ Russlands, sondern die Schicksale derer, die in der Ukraine heute in Kellern ausharren, müssen Ausgangspunkt der Debatte sein.„
Wer sich weigert, “irgendwelche „legitimen Sicherheitsinteressen“ Russlands” anzuerkennen oder sich auch nur damit zu befassen, landet direkt an der Seite der NATO, die sich schon seit Jahren weigert, „irgendwelche „legitimen Sicherheitsinteressen“ Russlands“ anzuerkennen. Genau diese Weigerung der NATO hat dazu geführt, dass dieser Krieg nicht verhindert wurde und ist auch der Grund, warum von den NATO-Staaten einschließlich der Bundesregierung bisher keine Initiativen ausgehen, um den Krieg zu beenden. Und das, obwohl hohe Militärs in den vergangenen Wochen und Monaten dazu gedrängt haben.
4. Die Interessen der USA, der NATO und Bundesregierung
Für die USA als bestimmende Kraft der NATO ist der Krieg mit Russland Teil ihres stategischen Kampfes gegen China und Russland[1]. Der Bundesregierung liegt daran, im Windschatten der USA ihre nicht nur ökonomische, sondern auch militärisch führende Rolle in Europa auszubauen und zu festigen.
Der Landesvorstand meint: „Nicht der geopolitische Vortrag vom Feldherr*innenhügel sondern Solidarität und Empathie und auch ganz realpolitisch humanitäre Hilfe ist gefragt.“ Wer hält nach Meinung des Landesvorstandes einen „geopolitischen Vortrag auf dem Feldherr*innenhügel“? Nicht die Friedensbewegung, die eine Bewegung gegen Krieg und Kriegstreiberei ist.
Hinter der Phrase vom „geopolitischen Vortrag auf dem Feldherr*innenhügel“ verbirgt der Landesvorstand seine Weigerung, sich mit den Interessen derer zu beschäftigen, die weiterhin Benzin ins Feuer gießen, statt zu löschen.
Der Landesvorstand befasst sich nicht mit der Frage, was die USA, die NATO und mit ihr die Bundesregierung zur Lieferung von immer mehr Waffen und zu immer größerer Eskalation treibt.
Diese Verweigerung ist das genaue Gegenteil von Solidarität und Empathie mit denen, “die in der Ukraine heute in Kellern ausharren, müssen”. Nur wer sich mit den Gründen für den Beginn und die Fortdauer dieses Krieges beschäftigt, kann erkennen, wie dieser Krieg beendet werden kann und wie wir uns in der kommenden Zeit einer noch gefährlicheren Entwicklung entgegenstemmen können.
Der Kampf für ein schnelles Ende des Krieges ist die beste “Solidarität und Empathie” und auch die beste “ganz realpolitisch humanitäre Hilfe”.
5. Was nicht in der Erklärung steht
Aufschlussreich ist nicht nur, was in dieser Erklärung des Landesvorstandes steht, sondern auch, was nicht in ihr steht. Die Erklärung enthält keine Verurteilung der Wirtschaftssanktionen. Wir möchten daran erinnern, dass sich der Bundessprecher der VVN-BdA, Florian Gutsche, schon sehr früh gegen eine Verurteilung der Wirtschaftssanktionen ausgesprochen hat und diejenigen, die diesen Wirtschaftskrieg verurteilten, in die Nähe der Rechten stellte. Die Sanktionen gegen Russland haben hier die Inflation angeheizt und tun dies weiter. Wer diesen Wirtschaftskrieg nicht verurteilt, nimmt die Reallohnverluste einschließlich der daraus entstehenden Sorgen sehr vieler Menschen im Land nicht ernst, mag er noch so viele soziale Ausgleichspakete fordern. Diese positive Haltung zum Wirtschaftskrieg gegen Russland ist Wasser auf die Mühlen der Konservativen und der extremen Rechten.
Der Landesvorstand ruft „Die Tür nach rechts bleibt zu“ und öffnet die Tür den Rechten.
Nachdem wir diese Stellungnahme des Landesvorstandes gelesen haben, sind wir umso mehr von der Wichtigkeit unserer Veranstaltungsreihe gegen den Krieg (https://frieden-gewinnen.de/) und der Notwendigkei, uns an den Ostermärschen zu beteiligen, überzeugt.
28. März 2023
Mitglieder des Arbeitskreises Frieden in der Berliner VVN-BdA
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Hier die Erklärung der Berliner Landesvorstandes der VVN-BdA vom 20. Februar 2023:
Die VVN-BdA ist eine antifaschistische, überparteiliche generationsübergreifende und unabhängige Organisation. Dementsprechend unterschiedlich und kontrovers fallen auch die Bewertungen des russischen Angriffskriegs und die Positionierungen dazu und die Fragen, wie unser antimilitaristisches und friedenspolitisches Engagement auszusehen hat, unter unseren Mitgliedern aus. Wir streiten uns heftig darüber, das ist durchaus eine Zerreißprobe.
Aber das ist angesichts der zunehmend bellizistischen Stimmung in Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit eigentlich eine große Chance um die vorherrschende Haltung, nur Waffenlieferungen könnten den brutalen Krieg gegen die ukrainische Bevölkerung, den völkerrechtswidrigen Angriff auf die souveräne Ukraine stoppen und ihr Recht auf Selbstverteidigung unterstützen, zu hinterfragen. Es ist eine Chance um gemeinsam zu überlegen welche zivilen Alternativen und Verhandlungsoptionen es dazu geben könnte und dafür zu streiten und dafür Druck zu machen- auch für den sofortigen Rückzug des russischen Militärs aus der Ukraine. Die Schützengräben, die die internationale Politik ausgehoben hat, müssen wir als Antifaschist*innen eben nicht besetzen.
Unter dem gemeinsamen Dach des Antifaschismus könnten wir eine produktive Diskussion führen, die jahrzehntelangen Erfahrungen der Antikriegsbewegung mit den Erfahrungen und neuen Wissen der jüngeren sozialen Bewegungen zusammenführen.
Wir wissen: Der alleinige Bezug auf die „Realpolitik“ dabei nicht zielführend, ja fatal ist .Wenn Russland die Ukraine unwidersprochen militärisch besiegen kann, ist das eine Einladung an autoritäre Machthaber gegen Nachbarländer ähnlich vorzugehen, denken wir z.B. an die Türkei. Wenn Deutschland und die NATO hochmoderne Waffen liefern, führt das zu einem Abnutzungskrieg, an dessen Ende Hunderttausende, im Falle einer nuklearen Auseinandersetzung Milliarden Menschen tot sind.
Wir können den Krieg nicht mehr verhindern, denn Millionen erleiden diesen Krieg bereits. Unsere Aufgabe besteht darin, sich zu vergegenwärtigen, wem unsere Empathie gelten muss – nämlich nicht den Nationalstaaten, sondern denjenigen, die unter dem russischen Überfall leiden: der Bevölkerung in zerschossenen ukrainischen Ortschaften, den geflohenen Kindern, den zwangsrekrutierten Soldat*innen auf beiden Seiten der Front. Nicht irgendwelche „legitimen Sicherheitsbedürfnisse“ Russlands, sondern die Schicksale derer, die in der Ukraine heute in Kellern ausharren, müssen Ausgangspunkt der Debatte sein. Nicht der geopolitische Vortrag vom Feldherr*innenhügel sondern Solidarität und Empathie und auch ganz realpolitisch humanitäre Hilfe ist gefragt.
Unabdingbar sind auch die Forderungen nach weiterhin großzügiger Aufnahme der ukrainischen und aller anderen Geflüchteten, dem Recht auf Asyl für alle Deserteur*innen und Kriegsdienstverweigerer*innen. Dem folgt auf dem Fuß, der Widerstand gegen weitere Waffenlieferungen, der Kampf gegen die rasante Aufrüstung und Militarisierung der deutschen Außenpolitik, das Hundert Milliarden Paket, nach sozialer Umverteilung der Krisenlasten, nicht nur im reichen Deutschland, gegen die drohenden Hungersnöte weltweit. Wir dürfen nicht zulassen, dass Umwelt- und Klimarettung ins Hintertreffen geraten.
Mit dieser Bündnisoption, einer sozialen Protestbewegung, die sich hinter progressiven und humanistischen Forderungen sammelt, haben wir Antifaschist*innen eine Chance, die Rechten herauszuhalten und herauszudrängen. Denn wenn Proteste in ihren Forderungen und Formulierungen von der rechten Mobilisierung klar unterscheidbar sind, wenn sozial-, friedens- , umweltpolitische antifaschistische Verknüpfungen angestrebt und ausgedrückt werden, dann sind Querfront und rechte Übernahmeversuche gar nicht so schwer zu verhindern. Der Traum der Elsässers, Kubitscheks und Höckes von der nationalistischen Massenbewegung wäre ausgeträumt.
Das zu bewirken ist unseres Erachtens auch eine der vorrangigen Aufgabe der VVN in der Zivilgesellschaft – der Kampf gegen neonazistische, faschistische Ideologie und politische Bewegung – „nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“. Dazu gehört das Aufzeigen, welche Positionen Rechtsextreme heute einnehmen und wo sich ihnen Möglichkeiten der Anschlussfähigkeit bieten. Deshalb betont die VVN-BdA immer wieder: „Die Tür nach rechts muss zu bleiben“ – eine Forderung gegen Querfrontbestrebungen, die sich insbesondere im Umfeld der Friedensbewegung seit gut zehn Jahren zeigen. Seither kämpft die VVN dagegen an – wir greifen ein wo andere schweigen oder über Widersprüche hinweggehen, wir distanzieren uns, wo nötig, von Aktionen und Kundgebungen, wenn diese rechtsoffen gestaltet werden. Das ist unser originärer Beitrag zum Kampf gegen Krieg und Militarisierung für den Frieden, aber eben nicht unserer einziger.
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Der Vorstand der Berliner VVN-BdA e.V.. 20.02.2023
[1] siehe die offizielle Nationale Sicherheitsstrategie der USA: https://widerstaendig.de/nationale-sicherheitsstrategie-der-usa-2/ .