Friedensbewegung im Kreuzfeuer

von Gerhard Hanloser

Schild mit Peace-Zeichen. Bild: Ink Drop/ Shutterstock.com

Friedensbewegung im Kreuzfeuer: Zwischen Mobilisierung und Demobilisierung

Die Friedensbewegung steht unter Druck. Kritiker warnen vor rechter Unterwanderung. Doch könnte der Versuch, sich abzugrenzen, die Bewegung spalten? (Teil 1)

Eine Untersuchung des Publizisten Lucius Teidelbaums zur aktuellen Friedensbewegung hat in jüngster Zeit erhebliche Aufmerksamkeit erlangt, da seine Darstellungen und Vorschläge von drei bedeutenden linken Organisationen übernommen wurden.

Diese Organisationen sind die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), das globalisierungskritische Netzwerk Attac sowie die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Sie nutzen Teidelbaums Analyse als Grundlage für die strategische Ausrichtung ihrer politischen Arbeit.

Kritische Betrachtung von Teidelbaums Analyse

Teidelbaums Analyse basiert auf einer relativ schmalen empirischen Grundlage. Eine nähere Betrachtung der Fußnoten in seinem Text offenbart, dass seine Quellen willkürlich ausgewählt wurden und oft wenig belastbar erscheinen.

Besonders auffällig ist, dass zur Definition der Friedensbewegung selbst keine fundierten Quellen zitiert werden. Dabei existieren bereits umfassende Darstellungen und wissenschaftliche Arbeiten zur Friedensbewegung, die Teidelbaum offenbar nicht berücksichtigt hat. Beispielsweise bieten die Beiträge zur Historischen Friedensforschung tiefere Einblicke. Bei Teidelbaum sucht man sie vergebens.

Politische Einflussnahme auf die Friedensbewegung

Bereits der Titel von Teidelbaums Werk kann den Eindruck einer gewissen Oberflächlichkeit entstehen lassen. Die Friedensbewegung, als eine der breitesten und politisch diversesten Neuen Sozialen Bewegungen, war schon immer Ziel politischer Einflussnahme von verschiedenen Seiten.

Würde man den Titel geringfügig ändern, könnte man „Versuche linksextremer Einflussnahme auf die Friedensbewegung“ formulieren und damit den Ton des bundesrepublikanischen Verfassungsschutzes treffen.

Die AfD und die Friedensbewegung

Teidelbaum kategorisiert die Friedensbewegung in vier Gruppen, wobei er die erste Gruppe als „extreme Rechte“, darunter die Alternative für Deutschland (AfD), ausmacht. Diese Einordnung ist auf mehreren Ebenen problematisch.

Während die Überschrift suggeriert, rechte Akteure nähmen Einfluss auf die Friedensbewegung, stellt sich in Teidelbaums Analyse die Friedensbewegung in Teilen selbst als rechts, ja sogar als extrem rechts dar.

Die AfD hat sich bisher jedoch nicht signifikant in Friedensmobilisierungen hervorgetan. Ihre Fahnen tauchen bei zentralen Friedensaktivitäten, wie den Ostermärschen, nicht auf. Als Partei mit militaristischer Ausrichtung ist ihr die Friedensbewegung inhaltlich wie habituell fremd.

Einzelne Wähler der AfD mögen bei Kundgebungen und Demonstrationen zugegen sein, was sich jedoch nicht überprüfen lässt. Teidelbaum hat keine empirische Untersuchung von Friedenskundgebungen und des Wahlverhaltens ihrer Teilnehmer vorgelegt.

Noch nicht einmal eine Unterscheidung zwischen Funktionären der AfD und der einfachen Wählerschaft wird von ihm vorgenommen. Dabei müsste doch die jeweilige Rolle und Machtposition anders bewertet und eingeschätzt werden.

Logik der Ausgrenzung

Teidelbaum fordert nicht nur, offizielle Bündnisse linker Friedenskräfte mit der AfD, die es bislang nie gab, zu verhindern. Er möchte auch mögliche „rechte“ Teilnehmer an Friedensdemonstrationen ausschließen und wünscht, sie mögen zurück nach Hause gehen.

Teidelbaum unterscheidet dabei nicht zwischen „extremer Rechte“ und „rechts“, was sich schon daran zeigt, dass er die „(extreme) Rechte“ anspricht. Diese Logik der Ausgrenzung folgt einem tiefen Pessimismus, was Veränderungsmöglichkeiten anbelangt. Ein Aktivist jeder möglichen linken Strömung – von gewaltfrei-anarchistisch bis marxistisch-leninistisch – würde dies freilich völlig anders sehen.

Die Herausforderung der Überzeugungsarbeit

Für einen solchen Ansatz steht Überzeugungsarbeit im Vordergrund: Er verteilt etwa Flugblätter in dem festen Glauben an die Überzeugungskraft der eigenen, besseren Argumente und setzt auf die Veränderungsmöglichkeit seines Gegenübers.

Ein ideologisch gefestigter extremer Rechter gehört dabei natürlich nicht zur Zielgruppe. Allerdings ist eine linke Aufklärungsarbeit immer in der Kommunikation und Ansprache offen für rechts positionierte Einzelpersonen und Personengruppen, um bei diesen eine Veränderung bewirken zu können. Sonst könnte der linke Aktivist nämlich mit seinen Flugblättern und seiner Agitation zu Hause bleiben.

Abgesehen von dieser Ignoranz gegenüber Veränderungs- und Selbstveränderungsmöglichkeiten sowie Lernprozessen in sozialen Bewegungen unterschätzen Teidelbaum und seine Großorganisationen das Argument der Quantität.

Die Macht der Masse

Es gibt historische Phasen, in denen schlicht die Masse zählt. Zur Verhinderung einer wirklichen faschistischen und neonazistischen Gefahr sollten alle eingeladen sein, die sich dieser entgegenstellen. In diesem Zusammenhang müssten Optionen des Kapitals in Form von faschistischen und neoautoritären Affinitäten großer Einzelkapitale und ihrer Sprecher verstärkt in den Fokus gerückt werden, nicht der einzelne „Rechtsesoteriker“ oder Aluhutträger. Zur Verhinderung einer Raketenstationierung, die einen Atomkrieg wahrscheinlicher macht, müssen Massen mobilisiert werden, deren ideologische Motivlage zweitrangig ist.

Generationenkonflikt in der Friedensbewegung

Dies zu erkennen oder zu ignorieren, scheint ein generelles Problem zwischen den Generationen zu sein. Eine jüngere Generation innerhalb der VVN-BdA kennt offenbar nicht das eigene antifaschistische Grundsatzprogramm, das keinen Ausschluss von konservativen, esoterischen, ja selbst national-völkischen Kräften vorsah, solange sie antinazistisch und von den Nazis verfolgt waren.

Voller Angst vor rechts scheint eine junge Generation die Beispiele politischer Wanderungsbewegungen von rechts nach links nicht zu kennen. Historische Figuren wie Thomas Mann, Hellmut von Gerlach, Bodo Uhse, Richard Scheringer und Ernst Niekisch illustrieren solche Bewegungen. Für einen Publizisten wie Teidelbaum müssen sie jedoch ewig unanständige Zeitgenossen bleiben, da sie von „rechts“ kamen.

Kategorisierung der Friedensbewegung:

Teidelbaum identifiziert weiterhin eine Gruppe B, die er als „rechte und verschwörungsideologische Friedensbewegung“ beschreibt. Hierbei bezieht er sich hauptsächlich auf Mitglieder der ehemaligen Montagsmahnwachen ab 2014. Diese Gruppe umfasst auch die Coronamaßnahmenkritische Bewegung, die er polemisch „Pandemie-Leugner*innen“ nennt.

Der Autor sieht bei diesen Gruppen verschwörungsideologische Momente und Motive vorliegen. Die darauffolgende Gruppe C soll dann für eine „rechts-offene traditionelle Friedensbewegung“ stehen, von der er jene letzte Gruppe absetzt, der er sich selbst zuordnet: Gruppe D als Teil der traditionellen Friedensbewegung, die sich von den rechten und rechts-offenen Gruppen abgrenze.

Diese Gruppe beschreibt er als international orientiert und kritisch gegenüber Nationalismus eingestellt. Gruppe D versuche, Gruppe C von der Notwendigkeit einer besseren Abgrenzung zu überzeugen.

Teidelbaum zählt zahlreiche Mobilisierungen auf, die entweder irrationalistisch oder tatsächlich rechtsradikal geprägt waren. Er erwähnt Akteure, deren Reichweite der Einflussnahme auf die traditionellen Friedensbewegungen unklar bleibt, wie das inzwischen verbotene Compact-Magazin.

Seine antifaschistisch informierte Skizze, die zuweilen zutreffend ist, könnte ebenso im Aufruf enden, diese Mobilisierungen mit klaren linken, internationalistischen und materialistischen Positionen zu fluten, um ihrem rechten Irrationalismus etwas entgegenzusetzen.

So könnten Teidelbaum oder die drei Großorganisationen eine verstärkte Präsenz mit Flugblättern oder erstrittenen Redebeiträgen auf von ihnen skeptisch beäugten Friedensmobilisierungen wie der „Stop Ramstein Kampagne“ anstreben. Doch auf dieser Ebene bewegen sich die Kritiker der Friedensbewegung gar nicht. Sie wollen nicht mobilisieren, sondern demobilisieren.

Der Autor und die ihn als Publizisten unterstützenden Funktionäre der drei Großorganisationen befürchten, dass die Gruppen B und ein größerer Teil der Gruppe C zu einer „neuen“ Friedensbewegung verschmelzen könnten.

Basis für diesen schändlichen Versuch wären gemeinsame Analysen, Inhalte und Ziele, die Teidelbaum konform zu bundesdeutschen Medienberichterstattung und geheimdienstlicher Verfassungsschutzorgane folgendermaßen zusammenfasst: Antiamerikanismus und Feindbild Westen, Apologie von Putin-Russland, gemeinsame Verschwörungserzählungen, gemeinsame Systemfeindschaft, Nationalismus, Medienfeindlichkeit, geopolitische Verkürzungen, taktische Mobilisierung.

Auch hier könnte eine solche Analyse – deren Tragfähigkeit mal beiseitegelassen – ja „Kritik im Handgemenge“ herausfordern gegen tatsächliche oder vermeintliche Putin-Apologie, gegen vermeintlichen oder tatsächlichen „Antiamerikanismus“.

Doch „Kritik im Handgemenge“ müsste dann ja rechtsoffen sein, sich also mit einem Gegenüber im gleichen Raum – der Straßen, der Demonstration, der Kundgebung – kontaminieren.

Demobilisierung statt Mobilisierung:

Insgesamt zeigt Teidelbaums Analyse eine Tendenz zur Demobilisierung, anstatt durch aktive Beteiligung und Überzeugungsarbeit Einfluss auf die Bewegungen zu nehmen. Die Diskussion um seine Thesen verdeutlicht bestehende Spannungen innerhalb der Friedensbewegung und die Herausforderungen, vor denen linke Organisationen in der aktuellen politischen Landschaft stehen.

Die Notwendigkeit einer differenzierten Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Friedensbewegung und der politischen Landschaft bleibt eine zentrale Aufgabe für alle Beteiligten.


Neue Akteure, alte Probleme: Die Zukunft der Friedensbewegung

Friedensbewegung im Wandel: Neue Akteure treten auf. Rechte mischen mit. Wohin steuert der Protest gegen Krieg und Aufrüstung? (Teil 2 und Schluss)

Man kann sich über die Friedensaktivitäten im Deutschland des Jahres 2024 kaum Illusionen machen. Es wäre wünschenswert, dass Teidelbaums Darstellung rechter Akteure, die sich als „Friedensaktivisten“ ausgeben, präziser ausgearbeitet wird. So sind etwa die „Mahnwache Potsdam“ und die „Handwerker für den Frieden“ stark von rechten Akteuren dominiert.

Skurriles wie Kim-Il-Sung-Begeisterung ist so mancher lokalen Initiative nicht fremd. In meinem Buch „Die andere Querfront“ schreibe ich im Vorwort, dass solche „autoritären Subjektformen vom Aluhutträger bis zum Putin-Fan“ im Geiste der Kritischen Theorie „auf die Verheerungen der kapitalistischen Verhältnisse selbst“ zurückzuführen sind:

Tatsächlich hat der unter Rot-Grün restrukturierte und barbarisierte Kapitalismus in Deutschland Menschen ‚freigesetzt‘, ihrer bisherigen Ordnung beraubt und der Kälte und Unwägbarkeit des Marktes unterworfen. Wenig erstaunlich, dass diese Freigesetzten zuweilen zu Obskurantismus und Verschwörungsdenken neigen und gerne bereit sind, allerhand barfüßigen oder falschen Propheten, Heilsbringern und reaktionären Manipulatoren zu folgen.

Ob sie freilich zu mehr in der Lage sind, als sich auf der ein oder anderen Demonstration einzufinden und auf Internetforen auszutoben, gar dazu fähig, ein einflussreiches politisches Projekt zu schmieden, mag dahingestellt sein. Im schlimmsten Fall geben sie einem neuen rechten Parteiprojekt ihre Stimme wie der AfD…

Es sollte lokalen linken Kräften überlassen sein, wie sie in ihrer Region mit diesen Akteuren umgehen. Sie mit eigener Präsenz und den richtigen Inhalten zu überstimmen und zu dominieren, eine attraktivere linke Lebenswelt zu verkörpern, ist immer besser, als sie im Gleichschritt mit den Kräften der Ordnung – weitgehend wirkungslos – als „Nazis“ zu markieren.

Als Befürworter einer gruppenübergreifenden und damit „rechtsoffenen“ Zusammenarbeit wird in der Broschüre von Teidelbaum Reiner Braun herausgepickt. Reiner Braun ist aktiv im „International Peace Bureau“. In den 1980er-Jahren war Reiner Braun am Krefelder Appell beteiligt.

Vor dem Einstein-Jubiläum im Jahr 2005 war er Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte. Von 2006 bis etwa 2014 war er Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und war bis 2017 Geschäftsführer der Ialana (International Association of Lawyers against Nuclear Arms). Außerdem war er Sprecher der „Kooperation für den Frieden“.

Braun ist außerdem stellvertretender Vorsitzender der Naturwissenschaftler:innen-Initiative Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit e.V. und hat im November 2022 einen interessanten Bericht über Friedensaktivitäten und Stimmungen in Russland auf den Nachdenkseiten verfasst, der offenbart, dass er alles andere als ein „Putin-Apologet“ ist.

Brauns Lebenswerk und seine politische Erfahrung werden durch Teidelbaum heruntergebrochen auf die Bemerkung, Braun habe „bereits 2015 für eine Kooperation mit den rechts-offenen ‚Mahnwachen für den Frieden‘ im Rahmen des ‚Friedenswinters'“ plädiert. Der Umgang mit dem Friedensfunktionär Braun, der in dem Text gepflegt wird, ist vielsagend.

Braun befürworte, schreibt Teidelbaum skandalisierend, auch „eine Zusammenarbeit mit den Pandemie-Leugner:innen“. Wenn Teidelbaum Reiner Braun selbst zitiert, hört es sich jedoch etwas anders an:

Es geht auch um mögliche neue Partner, die im weitesten Sinne in sozialen Bereichen (Wohnen, Gesundheitswesen, etc.), im Handwerk und Mittelstand, aber auch in der Corona-kritischen Grundrechtebewegung zu finden sind.

Reiner Braun

Teidelbaum muss nachschieben, dass Braun diesen Vorschlag konkretisiert, und zitiert:

Solange es eine klare Positionierung gegen rechtsradikales und faschistisches Gedankengut gibt, ist eine pauschale Ausgrenzung nicht zielführend.

Reiner Braun

Braun hat hier also die verlangte Abgrenzung von der extremen Rechten vorgenommen. Teidelbaums Vorhaltungen lösen sich hier in Luft auf. Es scheint ihn also etwas anderes zu stören. So empört er sich, dass besonders in Gruppe B und C „in gewagten Assoziationsketten (…) die Grünen als militaristisch kritisiert und deswegen als ‚rechts‘ markiert“ werden.

Nun braucht es nicht viele Assoziationsketten, sondern nur das Zur-Kenntnis-Nehmen eines Interviews mit Toni Hofreiter, um Beispiele für den Militarismus der Grünen zu finden. Doch Teidelbaum geht sogar so weit zu skandalisieren, dass durch Vertreter der Gruppen B und C „die Nato (…) als rechte Organisation markiert“ wird. Er bemerkt in aller Naivität:

Eine differenzierte Kritik würde darauf hinweisen, dass autoritäre Regime wie die Türkei in der Nato Mitglied sind, und diesen Umstand kritisieren. Die Nato ist zuallererst ein Militärbündnis, dem sowohl demokratische als auch autoritäre Staaten angehören. Den „Vereinten Nationen“ (UN) könnte man ebenso vorwerfen, dass ihnen autoritäre Staaten angehören, allerdings scheint das bei der Bestimmung des Charakters der UN keine Rolle zu spielen.

Freilich offenbart diese Passage, dass Teidelbaum nicht in der Lage ist, Rolle und Funktion der Nato und ihren expansiven Charakter zur globalen Macht- und Herrschaftssicherung der führenden kapitalistischen Staaten, allen voran der USA, zu erkennen.

Ihm scheint auch der Begriff des Imperialismus, bzw. imperialistischer Strukturen unbekannt zu sein, dessen Inhalt er bei historisch und politisch-materialistisch bewanderten Autoren wie Noam Chomsky nachlesen könnte, wenn er zu Daniele Ganser nicht greifen mag.

Teidelbaum kritisiert also Stimmen der Friedensbewegung vor dem Hintergrund einer eigenen affirmativen Einschätzung der Grünen, der Nato und der bundesrepublikanischen Medienlandschaft.

Dass er selbst den Begriffsjoker „Antiamerikanismus“ benutzt, ohne darauf zu reflektieren, dass dieser bereits der 80er-Jahre-Friedensbewegung im Interesse ihrer Delegitimation von rechts entgegenschallte, zeigt, wie weitgehend unkritisch und unhistorisch der Autor an sein Thema herangeht.

Einer Strategie „taktischer Mobilisierung“, die er nur bei Gruppe C der Friedensbewegung ausmacht, verfolgt er wie die mit ihm kooperierenden Großorganisationen dabei selbst. Im Medium der Verharmlosung herrschender Politik und ihrer medialen und politischen Agenturen strebt er das Reinhalten linker Großorganisationen und ihrer Bündnispolitik an, um Respektabilität im bürgerlichen Milieu zu erheischen.

Wenn sich Teidelbaum auf eine „ausdifferenzierte (…) Kapitalismus-Kritik, die Klassen-Gegensätze fokussiert“ positiv bezieht, so ist dies reine Rhetorik und dient nur als Ticket-Begriff, um weitgehend argumentfrei den angegriffenen Akteuren eine Verkürzung in ihrer Gesellschaftskritik oder eine Ideologisierung vorhalten zu können.

Ein solches Manöver könnte die globalisierungskritische Bewegung Attac kennen. So haben ihr in ähnlicher Manier antideutsche Publizisten in der Vergangenheit vorgehalten, ihre Kampagne für eine Finanztransaktionssteuer folge keiner ausdifferenzierten Kapitalismus-, sondern einer nur verkürzten, ja sogar „strukturell antisemitischen“ Kapitalismuskritik.

Dass sich die Funktionäre dreier linker Großorganisationen hinter einer wissenschaftlich dürftigen und politisch biederen bis angepassten Kurzstudie zur Friedensbewegung versammeln, zeigt die tiefe Krise linker Kräfte in der Bundesrepublik an. Die Furcht vor „Rechtsoffenheit“ und die demobilisierende Abgrenzerei bleiben weit hinter den Erkenntnissen der Gruppen selbst zurück.

In einer Erklärung des Bundessprecher:innenkreises der VVN-BdA wird berechtigterweise kritisch auf das 100-Milliarden-Paket für die Aufrüstung der Bundeswehr verwiesen und zum neuen deutschen Militarismus, der bei Bildung, Gesundheit und Sozialem spart, „Nein“ gesagt. Die linken Kräfte haben tatsächlich viel zu diskutieren. So zeigte die Friedensmobilisierung des 3. Oktobers, dass hier neue Akteure auf der Straße zusammenfinden, immerhin in einer großen Zahl von 30.000.

Jenseits des Prominentenspektakels auf der Bühne bei der Goldelse konnte beobachtet werden, dass es eine neue antimilitaristische Jugend gibt, die nicht nur der „Zeitenwende“, sondern auch dem vorherrschenden Konformismus und Opportunismus die kalte Schulter zeigen. Dafür schlüpft sie zuweilen in die alten Kostüme eines anachronistischen Leninismus.

Ferner war die Demonstration dank der Mobilisierung palästinasolidarischer Kreise migrantischer und weniger „biodeutsch“ geprägt als die klassischen Veranstaltungen der alten Friedensbewegung. Durch diese Teilnehmer artikuliert sich ein radikaler und umfassender Begriff von Menschenrechten. Diese Entwicklung ist für Antikriegsbewegungen in globalisierten Migrationsgesellschaften von höchster Bedeutung.

Insgesamt zeigt Teidelbaums Analyse eine Tendenz zur Demobilisierung, anstatt durch aktive Beteiligung und Überzeugungsarbeit Einfluss auf die Bewegungen zu nehmen.

Die Diskussion um seine Thesen verdeutlicht bestehende Spannungen innerhalb der Friedensbewegung und die Herausforderungen, vor denen linke Organisationen in der aktuellen politischen Landschaft stehen. Die Notwendigkeit einer differenzierten Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Friedensbewegung und der politischen Landschaft bleibt eine zentrale Aufgabe für alle Beteiligten.

Es zeigt sich, dass eine stärkere Präsenz und inhaltliche Auseinandersetzung in den von Teidelbaum kritisierten Friedensmobilisierungen ein Weg sein könnte, um die Vielfalt und die Ziele der Bewegung zu stärken.


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