03.06.2024 Junge Welt: VVN-BdA in stürmischer Zeit

03.06.2024 / Inland / Seite 4

VVN-BdA in stürmischer Zeit

Sachsen-Anhalt: 8. Bundeskongress der antifaschistischen Vereinigung mit
teils heftigen Debatten

Bernd Kant

Zwei Themen haben die VVN-BdA in den vergangenen Jahren verändert, was am
Wochenende in Halle (Saale) auf dem 8. Bundeskongress sichtbar wurde. Der
politische Streit um die Gemeinnützigkeit hat mehr als 2.000 neue Mitglieder
in die Reihen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V. geführt. Aber die Organisation
steht vor der Herausforderung, einen Generationswechsel bewerkstelligen zu
müssen. Mit mehr als 200 Delegierten, davon viele Neumitglieder, war dieser
Kongress einer der größten der vergangenen Jahre.

Sichtbar wurde außerdem die Heterogenität der Mitglieder. Die aktuellen
Kriege in der Ukraine und in Nahost ließen unterschiedliche Positionen in
der Friedenspolitik innerhalb der VVN-BdA deutlich zutage treten. Im
Anschluss an den Rechenschaftsbericht forderten viele Delegierte, der
Militarisierung der bundesdeutschen Gesellschaft deutlicher
entgegenzutreten. Auf beide Fragen versuchte der Kongress politische
Antworten zu finden.

Ausgangspunkt waren gesellschaftliche Entwicklungen wie der erschreckende
Einflussgewinn der AfD nicht nur in den östlichen Bundesländern. Auch bei
den EU-Wahlen wird ein deutlicher Zuwachs an AfD-Stimmen befürchtet.
Gleichzeitig führt die Propaganda der AfD in der Migrations- und
Flüchtlingspolitik dazu, dass Ampelkoalition und CDU/CSU sich als Vorreiter
der Abschiebepolitik gerieren. Das Motto des Bundeskongresses lautete
deshalb: »Menschenrechte verteidigen – AfD-Verbot jetzt«. Positiv
registriert wurde die größte gesellschaftliche Bewegung gegen die
Rechtsentwicklung im Frühjahr dieses Jahres mit mehr als 1.500 Kundgebungen,
an denen sich etwa vier Millionen Menschen beteiligt hatten. In Halle hatten
16.000 Menschen demonstriert, wie der Vertreter von »Halle gegen rechts« in
seinem Grußwort hervorhob.

Im Rechenschaftsbericht wurde betont, dass die eigenen Initiativen, z. B.
»Aufstehen gegen Rassismus« oder »Höcke ist ein Nazi!«, in zahlreichen
Aktionen sichtbar waren. Keine Antworten fand man, warum die VVN-BdA wenig
Einfluss auf diese Massenbewegung hat. Diese Aktionen zeigen ein
gesellschaftliches Potential, das von den Kreisvereinigungen in
unterschiedlicher Form angesprochen werden müsste.

In der Debatte, die teils wenig solidarisch geführt wurde, ging es bei der
zum Leitantrag um unterschiedliche Positionen und Perspektiven. Auf dem
Kongress wurden die divergierenden Vorstellungen von antifaschistischer
Arbeit durch Berichte aus der Praxis von Kreisvereinigungen und
Basisorganisationen deutlich. Der Leitantrag beinhaltet die politische
Bandbreite der zukünftigen Aufgaben: Kampf gegen Rechtsentwicklung,
(Neo-)Faschismus und Rassismus; Kampf für Frieden, gegen Krieg und
Militarisierung; Bewahrung der Erinnerung und des Vermächtnisses der Frauen
und Männer aus Widerstand und Verfolgung; ferner Solidarität, soziale
Gerechtigkeit und demokratische Teilhabe. So unstrittig diese vier Aufgaben
waren, gab es eine teilweise kontroverse Debatte um das Selbstverständnis
der VVN-BdA. Gemeinsam war allen Delegierten das Handeln gegen die AfD. Die
Organisierung von Massenprotesten gegen den geplanten AfD-Bundesparteitag
Ende Juni in Essen wurde einmütig begrüßt.

Angesichts der heftigen Debatten entschieden die Delegierten mit großer
Mehrheit, die gesamte Antragsberatung auf einem separaten Kongress
fortzusetzen, um unterschiedliche Perspektiven und Positionen zusammenführen
zu können. Neben der Antragsdebatte fanden am Sonntag die Wahlen zum
Leitungsgremium statt. Im Gegensatz zu früheren Kongressen erhielten die
Kandidierenden deutlich mehr Gegenstimmen, was ein Indiz für die in der
VVN-BdA vorhandenen Kontroversen war.

Große Harmonie dokumentierte der Kongress dagegen bei der Verabschiedung der
Bundessprecherin Regina Girod und des Bundessprechers Ulrich Schneider. Die
Wertschätzung für deren Arbeit zeigten die Delegierten mit Standing
Ovations. So kann als Ergebnis des Kongresses festgehalten werden, dass es
eine wichtige Aufgabe des neuen Sprecherkreises ist, einen breiten Konsens
innerhalb der Gesamtorganisation weiterzuentwickeln.

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