Gedenken an John Schehr und Genossen

Regelmäßig wird am ersten Februarwochenende der Ermordung der Antifaschisten und Kommunisten John Schehr, Erich Steinfurth, Eugen Schönhaar und Rudolf Schwarz durch die Hitlerfaschisten gedacht. Das Gedenken findet am Schäferberg in Berlin-Wannsee statt, wo sich eine Gedenkstele befindet. Durchgeführt wird das Gedenken von der Berliner VVN-VdA und der Potsdamer VVN-BdA.
- Februar 2025, 11 Uhr; Kilometerberg/Schäferberg; Berlin-Wannsee
Das Gedicht von Erich Weinert „John Schehr und Genossen“ wurde von unserem Kameraden Rüdiger Deissler vorgetragen, einen Redebeitrag hielt Dr. Almuth Püschel (Historikerin).
Zuvor verlas Jürgen Schulte in Erinnerung an unseren jüngst verstorbenen Kameraden Frieder Böhne eine Rede von ihm, gehalten 2015 am Schäferberg::
Erinnerung an einen Kameraden, der nicht mehr dabei sein wird.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
das heutige Gedenken darf nicht stattfinden, ohne dass wir eines Kameraden gedenken, der seit Bestehen dieses Gedenksteins – und vielleicht auch noch früher – bei jedem Wetter anlässlich des Jahrestages der faschistischen Mordtat mit den Kameradinnen und Kameraden der VVN an das Verbrechen der deutschen Faschisten und, stellvertretend für die Millionen Verfolgten und Ermordeten, an die vier Widerstandskämpfer erinnert hat. Ich spreche von unserem Kameraden Frieder Böhne.
Gemeinsam mit Edith Pfeiffer hat Frieder jahrelang die Ehrung am Schäferberg organisiert und mitgestaltet. Dazu gehörte auch immer der Vortrag des Weinert-Gedichts und einige erläuternden Worte. Heute ist das 3. Jahr, an dem er nicht teilnimmt. Während wir alle in den beiden letzten Jahren hofften, dass er seine Krankheit besiegen und wieder zurückkehren könnte, zwischendurch sah es auch immer mal wieder so aus, wissen wir seit Donnerstag, dass die Zeit, in der das Wünschen noch half, für Frieder nicht gegolten hat. Am Donnerstagmorgen hat er den Kampf gegen die heimtückische Krankheit verloren und wenn diejenigen, die ihm bis in seine letzten Tage nahe sein durften, auch gesehen haben, wie er bis zum Schluss gekämpft und gelitten hat, so hätten wir doch alle für ihn ein anderes Lebensende gewünscht.
Wir wollen heute an ihn erinnern, an einen Kameraden, der neben der Ehrung am Schäferberg in vielen Bereichen der VVN aktiv war und jahrelang Vorstandsfunktionen innegehabt hat. Ich hoffe, ihr seid damit einverstanden, wenn wir ihn selber zu Wort kommen lassen mit seinem Beitrag, den er 2014 hier gehalten hat.
Liebe Freundinnen, Freunde, liebe Kameradinnen und Kameraden,
wir freuen uns, dass ihr auch bei diesem trüben und unfreundlichen Wetter den Weg hier an die Stadtgrenze gefunden habt, um an die heute vor genau 80 Jahre ermordeten vier Antifaschisten zu erinnern.
Es ist schon vieles über ihr Schicksal erzählt und geschrieben worden und ich möchte euch deshalb nicht mit Wiederholungen langweilen, sondern erlaube mir nur einige wenige erläuternde Anmerkungen.
Zunächst zum Gedicht Erich Weinerts. Eine Besonderheit dieses Gedichtes ist, dass es sich hier im Wesentlichen um einen Tatsachenbericht handelt. So, wie beschrieben, hat es sich auch abgespielt, Erich Weinert musste Informanten gehabt haben, die ihm davon berichtet haben. Heute zugängliche Dokumente belegen, dass es sich in etwa so, wie geschildert, zugetragen hat. Etliche Zeugen beobachteten, wie die vier im Gestapogefängnis Columbiahaus am späten Abend des 1. Februars 1934 streng bewacht auf einen Lastwagen verfrachtet wurden. Genau an dieser Stelle, der Weg war damals noch etwas steiler, hielt der langsam fahrende Lastwagen auf menschenleerer Straße: „Runter vom Wagen und rein in den Wald!“ wurde von den Zeugen gehört.
Am nächsten Morgen sahen Arbeiter auf den Weg zur Arbeit aus dem Bus die Leichen an der Mordstelle, bewacht von Polizisten. Im KZ Columbiahaus wurde über Lautsprecher verkündet, dass gestern vier Kommunisten auf der Flucht erschossen worden sind.
Das war mehr als zynisch. Wusste doch jeder im Lager, wie stark die vier misshandelt worden waren. „Keine 10 Schritte hätte John Schehr zu diesem Zeitpunkt mehr alleine machen können“, erinnerte sich ein Augenzeuge des Abtransports. John Schehr hatte bei allen Vernehmungen stets nur das eine erklärt, dass er über seine Tätigkeit für die kommunistische Partei und über seine Genossen keine Aussagen machen werde. Trotz unmenschlicher Misshandlungen hat er das auch durchgehalten.
Eine kleine Schwäche von Erich Weinerts Gedicht sind die Worte „… und Genossen“. Das klingt für mich ein bisschen wie „& CO“ und wird dem Leben von Eugen Schönhaar, von Erich Steinfurth und von Rudolf Schwarz nicht gerecht. Auch sie waren überzeugte Kommunisten, hatten seit ihrer Jugend für die gemeinsame Sache gestritten.
Eugen Schönhaar, Jahrgang 1898, kam aus Esslingen und war Teilnehmer an der Novemberrevolution in Württemberg. In den zwanziger Jahren war er in verschiedenen Positionen in der Leitung der Kommunistischen Jugendinternationalen und der Internationalen Arbeiterhilfe tätig. Nach der Machtübertragung war er im Auftrag des ZKs für die illegalen Schriften und Druckereien zuständig. Am 1. November 1933 wurde er verhaftet und ins Columbiahaus gesperrt.
Rudolf, Rudi Schwarz, der jüngste der vier wurde keine 30 Jahre alt. Er trat 1921 in Friedrichshain in den Jugendverband KJVD ein, wurde Mitarbeiter des ZK des KJVD, arbeitete dann unter anderen in der Bundesführung des Roten Frontkämpferbundes, saß 1930 wegen seines Zeitungsartikels „Wie kämpft man gegen den Krieg“ neun Monate im Gefängnis. Auch er war bis zu seiner Verhaftung führend in der illegalen Partei tätig und kam nach seiner Verhaftung ins Columbiahaus. Seine Verhaftung geht erwiesenermaßen auf den Verrat des zur anderen Seite gewechselten Alfred Kattner zurück.
Erich Steinfurth, Jahrgang 1896 aus Mittenwalde, war Reichsbahner, Schlosser und Betriebsrat im RAW Grunewald, für seinen Kampf gegen den Hitlerputsch 1924 mit zwei Jahren Zuchthaus bestraft, später Leiter der Berliner Roten Hilfe und Mitglied des Preußischen Landtages. Er wurde schon im März 1933 verhaftet und in das KZ Sonnenburg gebracht. Dort war er ein führender Kopf der Häftlingswiderstands. Als dort seine Ausbruchspläne der Polizei bekannt wurden, verlegte man ihn in das von der SS besser kontrollierte Columbiahaus.
Der Schluss des Gedichts „Kommt mit, Exzellenz, die Abrechnung für John Schehr und Genossen.“ erfüllte sich leider auch nicht. Keiner der Schuldigen wurde verurteilt. Der Fahrer des Lastwagens, der SS-Mann und Fuhrunternehmer Helmut Elsholz, auch nach dem Krieg noch überzeugter Nazi, wurde von der VVN zwar angezeigt, das Verfahren wurde aber im Westberlin des kalten Krieges niedergeschlagen, es kam nicht zur Anklage. (Bei dem Satz „Keiner der Schuldigen wurde verurteilt.“ hat sich Frieder damals geirrt. Der für den Mord an Schehr verantwortliche SS- und Gestapo-Mann Bruno Sattler, der auch an der Deportation von Jüdinnen und Juden aus Belgrad beteiligt war, wurde 1952 in der DDR zu lebenslanger Haft verurteilt und starb im Gefängnis. – J.S.)
Die Mörder waren sich damals sehr sicher gewesen. Dass sich 80 Jahre nach diesem Mord noch Menschen an ihre Opfer erinnern, dass haben die Mörder damals bestimmt nicht für möglich gehalten.
Friedrich Petter und Kurt Zucker, Freunde und Genossen von Rudolf Schwarz haben die Vier im Februar 1934 unter Lebensgefahr mit einem Gebinde in Friedrichshain geehrt, Andere überklebten die Straßenschilder der Friedländer Straße, wo Erich Steinfurth zuletzt gewohnt hatte, mit „Erich-Steinfurth-Straße“. Das waren die ersten Ehrungen, in deren Tradition wir bis heute stehen. Seit 1989 gibt es diesen Gedenkstein, an dem wir uns jetzt jährlich versammeln, egal wie schlecht das Wetter ist. Und diese Tradition werden wir auch fortsetzen.
Wir machen dies nicht zum Selbstzweck. Angesichts des Erstarkens der im vorigen Jahr gegründeten AFD und ihrer Bemühungen, den deutschen Faschismus wieder hoffähig zu machen, stellen wir uns allen Bemühungen nach einer Wende um 180 Grad in der Geschichtspolitik strikt entgegen.
Frieder hat sich immer wieder mit dem Mord am Schäferberg und seine Zusammenhänge sowie mit der Geschichte des hiesigen Gedenksteins beschäftigt.
Er würde sich sicherlich freuen, wenn wir die Ergebnisse seiner Recherchen im Rahmen einer kleinen Veranstaltung oder eines Artikels zusammen- und vorstellen könnten. Das wäre nicht nur ein Blick in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft mit der Frage, wie wir die Erinnerung an den vierfachen Mord und das Gedenken an die Ermordeten gestalten können. Und an der Gestaltung dieser Tradition, zu deren Fortführung er uns immer wieder angehalten hat, hätte Frieder auch seinen Anteil. Das wäre mit Sicherheit ein Gedenken und eine Ehrung, wie er sie sich gewünscht hat.
Ich danke euch für eure Zeit und ende mit der von Frieder an vielen Stellen ausgesprochenen und gerade in der heutigen Zeit hochaktuellen Aufforderung: Den Faschisten und ihren Hintermännern keinen Zentimeter Boden!
.
