Einige kritische Anmerkungen zur Broschüre von Thomas Willms, „Sein Kampf“

Einige kritische Anmerkungen zur Broschüre von Thomas Willms, Sein Kampf [1]

Inhalt:

Problematisch ist bereits der Titel der Broschüre. Er legt eine unzulässige Gleichsetzung Höckes mit Hitler nahe, was im Übrigen auch die ansonsten beschworene „Singularität“ des NS-Regimes in Frage stellt.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, dass sich die VVN mit den Figuren, der Ideologie, den Auslassungen der Faschisten auseinandersetzt. Wozu? Um den AntifaschistInnen Argumente an die Hand zu geben für die Auseinandersetzung, um die Gegenwehr zu mobilisieren, um Schwankende und „Infizierte“ zu neutralisieren oder herüberzuziehen. Das leistet der Autor in Ansätzen, wenn er sich mit der sozialen Demagogie von Höcke auseinandersetzt (S. 20). Doch auch hier wird die Beschränkung erkennbar, die sich durch den ganzen Text zieht: der Verzicht auf eine klassenbezogene Analyse des Faschismus und eines Protagonisten wie Höcke. (zurück zum Inhalt)

Der Nazi und die Faschisten

Das geht schon los bei „Warum diese Broschüre?“ (S. 4) Da werden Meloni und Orban von Höcke abgegrenzt, ja fast gegen den „nazistischen“ Höcke“ verteidigt. Und das, obwohl es inzwischen schon keinen Aufschrei mehr gibt, wenn die faschistische Mussolini-Verehrerin Meloni – mittlerweile als Regierungschefin Italiens – zu Scholz ganz selbstverständlich auf Staatsbesuch kommt oder grinsend neben der EU-Kommissonspräsidentin v.d.Leyen posiert. Aber bei einem solchen Kenner der Materie, der wie Willms auch schon mal den linken Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon und Frau Le Pen (unter dem Stichwort „Populismus“) gleichsetzt, ist man solche „treffsicheren“ Beurteilungen schon fast gewohnt.

Und dann: „Für einen Moment blitzt auf, dass ein faschistischer Umsturz wirklich denkbar ist.“ Da musste eine Höcke-Rede her, um angesichts des massiven Aufbaus bewaffneter faschistischer Kräfte mit weitreichenden Verbindungen in den Staatsapparat, in Polizei, Militär, Justiz, einen faschistischen Umsturz für „denkbar“ zu halten? Immerhin Thomas Willms denkt. Vielleicht denkt er nach über seine haarscharf daneben liegende Einschätzung nach den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz 2021: „Der Jahreswechsel 2020/2021 markierte für die AfD den Übergang von der Stagnation zur strategischen Defensive.“ (antifa 15.3.2021) (zurück zum Inhalt)

Beschönigung der USA

Bei der Paraphrasierung (Umschreibung) von Höckes Rede in Gera wäre es sinnvoll gewesen, von vorneherein zu sagen, dass Höcke selbst die Wörter „Jude“ „Judentum“ sorgfältig umgeht bzw. codiert. (S.5) Am Ende kommt heraus, dass Höcke dem Publikum die USA mit „den Juden“ als treibende Kraft als Hauptfeind darstellen will. Soll das dazu dienen, dass wer den US-Imperialismus kritisiert in die Nähe von Höcke gerückt wird? Soll der US-Imperialismus nun nicht mehr als Führungsmacht bezeichnet werden, die das monopolkapitalistische Regime zur Ausplünderung des Planeten, zur Unterdrückung der um Befreiung ringenden Völker (wie in Vietnam oder Kuba), zur Zerschlagung der Sowjetunion und des Sozialismus in Europa angeführt hat und aggressiv anführt (ohne dabei die Rolle des deutschen Imperialismus zu verkleinern)? (zurück zum Inhalt)

Beschönigung der BRD-Geschichte

Im Kapitel „Vorgeschichte“ behauptet Thomas Willms: „Die politische Kultur der Bundesrepublik ist vor allem durch die widersprüchliche Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur entstanden, deren Erbe sie antreten musste.“ (S. 6) Ganz ausgeblendet wird die prägende Kraft des Antikommunismus auf die BRD, die Bedeutung des Kampfs gegen die Sowjetunion und die DDR, die Durchsetzung des Staatsapparats mit Nazis, der Ausbau Westeuropas als Bollwerk gegen den Sozialismus. Soll das verschwinden hinter der Plattheit „widersprüchliche Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur“? Es soll offenbar! Denn die Verhältnisse in der BRD verschwinden hinter der Figur Höcke, der kraft seines Redetalents die Massenbasis für den faschistischen Umsturz schafft. Gegen solche Theorien rechts-bürgerlicher Historiker vom „Dämon Hitler“ als Ursache des Faschismus haben wir mit der VVN lange gekämpft. Statt solcher Verharmlosungen haben wir den Zusammenhang der gesellschaftlichen Verhältnisse, von (Monopol-)Kapitalismus und Faschismus in den Vordergrund gestellt. Das scheint Thomas Willms vollkommen aus dem Blick geraten zu sein. Solche Geschichtsvergessenheit, die sich offenbar auch in der Führung der VVN breit gemacht hat, ist m.E. mitverantwortlich für das Vordringen der Schlussstrichmentalität, mehr jedenfalls als das „Aussterben der Zeitzeug*innengeneration“ (S. 7). (zurück zum Inhalt)

Ukraine-Krieg: Beschönigung der Rolle von NATO und BRD

Und dann kommt das Mantra vom „russischen Überfall auf die Ukraine“ (S. 7), ohne irgendetwas zur Vorgeschichte zu sagen, zur Verantwortung der Nato und der BRD. Dass sich Faschisten in der Sonne Putins gerne gesonnt haben, aber bei Bedarf jederzeit das Hemd wechseln, zeigt doch gerade die Faschistin Meloni. Und auch hier wieder das gleiche Argumentationsmuster. Thomas Willms suggeriert: Der Nazi Höcke stellt sich positiv zu Putin, also ist Verständnis für Putin und die Russische Föderation bereits Nähe zu Faschisten. Damit wird aber die Nato, die Rolle der BRD verniedlicht und am Schluss kommt dann vielleicht gar noch die Nato als Friedensmacht heraus (und die Partei Die Linke kann sich endlich vom Makel, Anti-Nato-Partei zu sein, befreien und für höhere Pöstchen qualifizieren). Und dann lässt sich Thomas Willms auch noch auf die Debatte ein, die Putin mit Hitler vergleicht (S. 10), ohne irgendetwas über solche faulen Analogien zu vermerken. Offensichtlich ist sich der Bundesgeschäftsführer der VVN-BdA nicht zu schade, beim Aufbau des russophoben Feindbilds der Nato und Bundesregierung nachzuhelfen. (zurück zum Inhalt)

Tabus aufstellen reicht nicht

Das Argumentationsmuster setzt sich unter „5. Feindbilder und Antisemitismus“ (S. 11) fort. Da zählt er eine lange Liste von Begriffspaaren auf, die Höcke angeblich verwendet wie „Dunkelheit oder Licht“ usw., ohne mit einem Wort zu erwähnen, was typischerweise bei Faschisten immer fehlt (und inzwischen auch der VVN-Führung abhanden gekommen ist): Bourgeoisie oder Proletariat. Und ohne uns zu sagen, wie diese Begriffe tatsächlich (dialektisch) zusammenhängen, wie etwa Herr und Knecht oder (nicht nur im Film) Sein oder Nichtsein. Es reicht, etwas zu tabuisieren, weil es ein Faschist (ein wirklicher oder unterstellter?) gesagt hat. So können wir uns – vor lauter selbst aufgestellter Tabus – auch letztlich selbst sprachlos machen.

Wenn Höcke von Imperium spricht, fällt Thomas Willms dazu nichts Anderes ein als ein Zusammenhang zum Römischen Imperium. (S. 12) Dass es bürgerliche Theoretiker und nicht zuletzt auch Lenin gibt, die den modernen Imperialismus untersucht haben, die der faschistischen Demagogie diametral entgegenstehen, will Thomas Willms offenbar nicht beachten. Stattdessen wiederholt unser Geschichtskenner die Mär, dass das Imperium Romanum wegen der germanischen Stämme untergegangen sei, statt wegen seiner inneren Verhältnisse.

Besonders deutlich wird es, wohin das Argumentationsmuster Thomas Willms führt, wenn er George Soros („der jüdischen Glaubens ist“ – so Willms auf S. 13) und die Open Society Foundation anführt. Üblicherweise bekämpft die Arbeiterbewegung Großkapitalisten, ob sie christlichen, muslimischen oder jüdischen oder gar keines Glaubens sind. Zur Aufgabe dieses Kampfes haben uns bisher nur Reformisten, sozialdemokratische Führer*innen geraten, dazu hätte es eines Thomas Willms nicht extra bedurft. Was es im Kampf gegen den Antisemitismus u.a. braucht, ist die Entlarvung der widerlichen Nazi-Demagogie vom „raffenden“ und „schaffenden“ Kapital. Dazu gehört aber als Voraussetzung, dass das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis wahrgenommen wird, dessen religiöse oder ethnische Prägung nachgelagert ist. (zurück zum Inhalt)

Vorschub für das Schüren der Russophobie

Auf S. 15 will Thomas Willms das Verhältnis der „extremen Rechten Westeuropas“ zu Russland beschreiben. Er nennt zur Charakterisierung Russlands verschiedene Kriterien, die genauso gut zur Kennzeichnung der USA oder der BRD herhalten können, z.B. „starke Stellung des Militärs und des militärischen Denkens“ (in den USA völlig unbekannt?) oder das Setzen auf „fossile Rohstoffe, Waffen, Atomenergie“ (USA, BRD bis vor kurzem auch bezüglich der Atomenergie). Ein wichtiges Kriterium zur Charakterisierung Russlands unterschlägt Willms: Es war der größte und wichtigste Teil der Sowjetunion. Das war das Land, – offenbar muss man wieder daran erinnern –  das uns vom Faschismus befreit hat. Dass wir auch dadurch die Aufgabe haben, die zur Staatsdoktrin erhobene Russophobie (aber auch Ukrainophobie) zu bekämpfen, davon bei Willms kein Wort.

Und dann zitiert Thomas Willms den Höcke: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!“. Sollen wir diese Losung auch aufgeben, bloß, weil ein Faschist sie im Maul hatte?

Unsere Aufgabe ist es, die soziale und nationale Demagogie der Nazis historisch und aktuell auseinanderzunehmen, um zu zeigen, dass Faschismus Krieg bringt, dass vom Frieden gesäuselt wird, bis man selbst auch militärisch stark genug ist, um „Lebensraum im Osten“ zu rauben, also die russischen Rohstoffe zu „arisieren“. (zurück zum Inhalt)

Der Wessi, die DDR und der Antikommunismus

Während Thomas Willms zur reaktionären gesellschaftlichen und politischen Entwicklung der BRD fast nichts zu sagen hat, charakterisiert er die DDR ganz in der herablassenden Wessi-Manier: „vormundschaftlicher Staat“, „klare ideologische Vorgaben“, „für ihr Leben enge Leitplanken“ oder „Das prorussische Sentiment insbesondere in Ostdeutschland generiert sich zum wohl kleineren Teil aus einem Weiterleben der in der DDR vorgeschriebenen Dankbarkeit und Begeisterung für die russischen ‚Freunde‘ …“ – Freunde setzt Thomas Willms dabei in Anführungszeichen! (S. 15) Das ist Antikommunismus in Reinform.

Die Anbiederung des Nazis Höcke an Erfahrungen von Bürgern der DDR wird man nur zurückweisen können, wenn man die grundlegende Feindschaft des BRD-Kapitals und der BRD-Politik gegen den Sozialismus in der Sowjetunion und der DDR mit einbezieht und die Übervorteilung und den Betrug bei der Einverleibung der DDR. Treuhand und „Blühende Landschaften“, um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber Thomas Willms meint: „Nun ist 30 Jahre nach der Wende nicht alles Not und Elend in Ostdeutschland. Renten und ökonomische Lebensverhältnisse haben weit zum Westen aufgeschlossen, ein lokales erfolgreiches Unternehmertum hat sich gebildet.“ Da ist doch die Welt in Ordnung!! Und mit solchem Rüstzeug versehen, wollen wir in Ostdeutschland Antifaschismus verbreiten? (zurück zum Inhalt)

Verschwörungen und die Atombombe

Bei seinem Rundschlag gegen „Verschwörungsgläubige“ gesteht Thomas Willms immerhin zu, dass es „seit jeher auch geheime Absprachen, in Hinterstuben ausgeheckte Pläne, Kartelle und regelrechte ‚Verschwörungen‘“ gab und gibt. (S. 17) Und dann: „Ein ‚Verschwörungsmythos‘ ist aber etwas Anderes.“ Was Verschwörungsmythos im Vergleich zu Verschwörungstheorie und zu tatsächlichen Verschwörungen ist, bleibt offen. Und dann wird alles in einen Topf geworfen: Impfgegner, Esoteriker, Querdenker … Im Kern unterstellt er denen, sie würden alle Übel der Welt den USA anlasten. Statt wirklich herauszuarbeiten, welche Aufklärungsarbeit wir zu leisten hätten, um solche Kräfte gegen die Nazis zu wappnen, meint sich Thomas Willms mit aufgestellten Warnschildern „Vorsicht Nazis um die Ecke“ begnügen zu können. Und dann gerät ihm das „Milieu der mittlerweile überalterten traditionellen Friedensbewegung“ ins Visier. Der unterstellt er: „Für das Unglück der Welt werden ausschließlich die USA verantwortlich gemacht.“ Sehr differenziert ist das nicht. Zwar gesteht Willms mit Höcke zu, dass die „USA als ‚erste und einzige Nation Atomwaffen eingesetzt‘ haben“. Doch wirft er Höcke vor, er unterschlage „hier Vorgeschichte, Kontext und US-interne Konflikte“. Wenn er doch ebensolche Maßstäbe an seine eigene Einschätzung des Ukraine-Kriegs anlegen würde! (s.o.)

Den Einsatz der Atombombe versucht Thomas Willms zu rechtfertigen, obwohl mittlerweile festzustehen scheint, dass es keine militärischen Gründe dafür gegeben hat, sondern eine massive Drohung gegen die Sowjetunion auf der gleichzeitig tagenden Potsdamer Konferenz war. Und gleich darauf (immer noch S. 19) schiebt er auch noch „Nordkorea“ die Schuld für den Korea-Krieg zu – ohne Vorgeschichte, Kontext und innerkoreanische Konflikte. Und so geht es weiter, um schließlich dann doch einzuräumen: „Die Kritik an Höckes unzulässiger Vereinfachung soll wiederum nicht heißen, dass es gar keine externe Einflussnahmen, gerade durch die Großmacht USA“ gegeben habe. Eine Erklärung und Bewertung, warum die USA eingreifen und eingegriffen haben, bleibt aus.

Der Nazi-Demagogie nichts entgegengesetzt, unsere Wurzeln verleugnet

Dass Antifaschisten keinen ethnisch-biologistischen Begriff von „Volk“ haben sollten, sollte klar sein; es muss auch kein klassenbezogener Volksbegriff verwendet werden; aber um der nationalen Demagogie der Nazis etwas entgegenzusetzen, sollten wir doch wenigstens einen politischen Begriff von Gemeinwesen, wie etwa die Nation, haben. Keinesfalls genügt es, zu schwadronieren von Verhältnissen in der BRD „von Individuen, die über sich selbst bestimmen.“ (S. 21) Bei Thomas Willms erscheint die deutsche Bundes-Welt als geradezu vorbildlich, wenn es da nicht den Höcke und die AfD gäbe.

Aber schließlich holt er noch zum letzten Schlag aus. „Fakt ist: Die AfD übt nämlich nicht erst Macht aus, wenn sie 50 plus X Prozent bei Wahlen erzielt, sondern wenn es keinen organisierten Widerstand gegen sie mehr gibt und daraufhin die konformistische Mitte kollabiert. Genau dies geschah zwischen 1930 und 1933, als der Widerstand gegen die NSDAP immer mehr an Boden verlor.“ (S. 22) – Das bleibt also, wenn wir Thomas Willms folgen würden, vom wachsenden antifaschistischen Widerstand, wie er von den Genossen der Arbeiterbewegung aus KPD, SPD, von Christen, Parteilosen gerade auch in dieser Zeit geleistet wurde. Kein Wort zum Großkapital, das zunehmend auf Krieg setzte, und zum Adel und Kleinbürgertum und zur Krise des Kapitalismus, die alle Widersprüche zuspitzte.

Und um das Fass mit der Nachsicht gegen die deutschen „Eliten“ voll zu machen, führt Thomas Willms Carl Schmitt ein (S. 24), ohne dessen Haltung zu den Nürnberger Rassegesetzen auch nur zu erwähnen.

Dass unsere Mitgliedsbeiträge für eine Broschüre verwendet werden, die brennende Fragen so irreführend beantwortet, ist unerträglich.


Herzlichen Dank an Conny Renkl, Mitglied der VVN-BdA seit 1990 für die Freigabe der Veröffentlichung. 21-07-2023


[1] Thomas Willms: Sein Kampf. Björn Höckes nazistische Grundsatzrede vom 3. Oktober 2022 in Gera. Berlin, 2023, VVN-BdA Selbstverlag, 28 Seiten, 1,50 Euro. Bestellen unter shop.vvn-bda.de

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